Kultur

Ein großer Bilderregenbogen unserer Zeit – unseres Alltags

Alles Schöne ist schief", sagt die draußen affichierte Werbung. Und: "Wir sind ein Schatten deiner selbst." Im Foyer des Thalia Theaters in Hamburg wird diskutiert. Ist ein Stück ohne Worte schon ein Stück? Die Frage ist ein Klassiker, bezogen auf "Die Stunde da wir nichts voneinander wußten".

Keine Dialoge, nur Spielanweisungen für Schauspieler gab Peter Handke für seine bei den Wiener Festwochen 1992 uraufgeführte Beschreibung des Treibens auf einem europäischen Platz. Flüchtige, oft skurrile Momentaufnahmen. Denn Handke sagt nicht viel mehr als: Jemand geht von irgendwo nach irgendwohin.

Ein leeres Stück

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Das estnische Regie-Duo Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper hat in seiner bei der Premiere am Donnerstag heftig akklamierten Version – ab 21. Mai bei den Wiener Festwochen im Theater an der Wien – jeden Augenblick mit sehr heutigen Bildern gefüllt und eine choreografische Maschine entwickelt, die das Allgemeine, mitunter Banale zum Besonderen stilisiert.

135 Minuten nonstop ein Bilderschwall. Ein Mosaik zum Teil starker Szenen. Ohne Worte, abgesehen von sparsamen Gesangs- und Choreinlagen, aber körpersprachlich beredt. Menschen gehen, schlendern, laufen, springen scheinbar ziel- und gedankenlos über die Bühne. Zuerst graumausig vor einer grauen Wand, später kommt in immer neuen Situationen auch optisch Farbe ins bunte Treiben.

Mehr als zwei Dutzend Darsteller spielen gefühlte 200 Figuren, Verrückte und Normale. Menschen verschiedener Ethnien und Religionen und mit unterschiedlichen sexuellen Vorlieben. Alle, die da kommen und gehen, geben in ihrem oft sinnentleerten Aktionismus und erstarrten Ritualen ein absurd-komisches, jedenfalls irritierendes Bild ab.

Zahllose Passanten

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Ihren Auftritt haben u. a. ein Angler mit einem Fisch in der Hand. Obdachlose mit ihrer Habe im Kinderwagen oder Einkaufswagerl. Ein Rotkäppchen, Sisyphos, ein Mann mit goldener Kugel und Leuchtschnur ... Vertraut aus der Alltagswelt: eine geschniegelte Airline-Crew, hyperventilierende Girlies, Straßenkehrer, ein Tanz der einsamen Herzen ... Aber auch viel Verrätseltes, Mythisches, Archaisches bleibt unaufgelöst oder ist als Startrampe für Träumereien und Assoziationen gedacht.

Das meiste ist gegen den Zeit-un-geist des schnellen Schnitts gebürstet. Aber manches wird auch zur harten Geduldprobe, wenn sich die Performance zwischendurch immer wieder zur Superzeitlupe verlangsamt, wenn gebückte Frauen in Schwarz – stumme Klageweiber – die Bühne queren.

Das Stück? Das sind die Bilder und was sie in den – hoffentlich nicht leeren – Köpfen der Zuseher erzeugen. Und sie erzählen eine Tragikomödie der Menschen.

KURIER-Wertung:

Info: 21. bis 23. 5. (19. 30 Uhr) Theater an der Wien; Ohne Worte www.festwochen.at