Der Wille zum Glanz
Von Georg Leyrer
Klingt komisch, ist aber so: Das Schönste, das Rolando Villazón zum Auftakt der Salzburger Mozartwoche bei Mozarts Oper „Lucio Silla“ gesungen hat, war von Johann Christian Bach.
Mozarts finale Arie des bis dahin fiesen römischen Feldherren, bei der Silla den entscheidenden Schwenk zur Gnade vollzieht, ist bei der Koproduktion mit den Salzburger Festspielen (wo „Lucio Silla“ heuer auch zu sehen ist) durch die Version von Bach ersetzt worden. Mozarts Musik könnte als zu wenig wirkungsvoll empfunden werden, hieß es im Vorfeld. Und (aus mozartpuristischer Sicht: ausgerechnet) hier packt Villazón das Publikum mit aller Vehemenz dort, wo eigentlich nur Oper hinlangen kann – und wonach sich der Tenor zuvor den ganzen Abend lang vergeblich gestreckt hatte.
Denn keine noch so große Anstrengung des in den Mittellagen durchaus präsenten Sympathieträgers hatte nennenswerte Höhen erzwingen können. Villazón, darstellerisch prägnant, mühte sich nach Kräften – die Stimme aber war dort, wo es drauf ankommt, wie verschwunden.
Glanz
Dann aber, von einem Moment auf den anderen, funktionierte es: Villazón saß am Rand des Orchestergrabens, die Bühne, die Musiciens du Louvre Grenoble und Dirigent Marc Minkowsi im Rücken, auf Tuchfühlung mit dem Publikum, und sang so ergreifend, so persönlich, so schonungslos offen den ihm gebührenden Glanz einfordernd, dass es einem – aus Bewunderung und Berührtheit – eng ums Herz wurde. Ein besonderer Opernmoment in einer insgesamt nicht uneingeschränkt erfüllenden Produktion. Im Haus für Mozart (weitere Aufführungen: 29. Jänner und 1. Februar) wurde szenisch versucht, was in der Musik schon allgegenwärtig ist: Die originale Aufführungspraxis neu zu beleben, sich daran zu orientieren, wie sich Mozart die Oper – nach den Konventionen seiner Zeit – wohl selbst vorgestellt haben könnte.
Die Originalklang-Archäologie hat allerlei Spannendes, ja aus musikhistorischer Perspektive Revolutionäres zu Tage gebracht. Bei der szenischen Suche nach dem Opernoriginal passiert aber eher das Gegenteil: plötzlich herrscht statt Theater wieder Theatralik, statt echter Emotion Stummfilmästhetik: Herzgriff, Händeringen, Dolchzücken, Rampensingen, alles ist groß, ausladend, Scherenschnittoper.
Und die Balletttänzerhosen verschweigen nichts.
Das Drama um den grausamen römischen Diktator, der zuletzt doch noch das Licht der Vernunft erblickt, wird allzu interpretationsfrei erzählt, hatte elegante, originelle Momente (bei einem Monolog Sillas etwa schalten alle anderen auf Standbild). Das Beste daran aber war, dass der szenische Prunk (Regie: Marshall Pynkoski, Ausstattung: Antoine Fontaine) mit einem musikalisch erfüllenden Abend und einem überzeugenden Ensemble einherging. Besonders zu würdigen: Marianne Crebassa als grandioser, absolut hörenswerter Cecilio und Olga Peretyatko als vokalagile Giunia. Zusammen mit Inga Kalna (als Lucio Cinna) und Eva Liebau (Celia) ein tolles Sängerinnenquartett.
Villazón reichte zuletzt viel des Applauses an das Orchester weiter – und dankte damit, wie das Publikum, für einen flotten, feinen, erfrischenden Mozart, aufwühlend und feindosiert.
Die Salzburger Mozartwoche läuft noch bis 3. Februar. Nächstes Jahr gibt es dann neben Mozart auch Gluck und Arvo Pärt.
KURIER-Wertung: **** von *****
Szenenbilder aus "Lucio Silla"