Kultur/Buch

Thomas Mann hat recht: Kopflose gehören nicht ins Kinderzimmer

Sein kleiner Sohn begegnete in einem Traum einem Mann, der seinen Kopf unterm Arm trug.

Der Vater schärfte ihm ein, den Kerl nicht anzusehen, wenn er wieder auftaucht. Aber er soll ihm klipp und klar sagen, sein Vater sei ein berühmter Zauberer und habe gesagt, ein Kopfloser habe im Schlafzimmer eines Kindes nichts zu suchen.

Der Sohn musste den Text mehrmals wiederholen. Es half. Der schreckliche Mann kehrte nicht zurück.

Fortan nannte der Sohn seinen Vater einen Zauberer, und dieser Spitzname blieb Thomas Mann.

Nicht dynamisch

Die Arroganz im deutschen Feuilleton hat komische Seiten: „Der Zauberer“ von Colm Tóibín wird nicht für gut befunden, weil man nichts Neues über Thomas Mann erfährt.

Wer erfährt nichts Neues? Wohl diejenigen, die bereits 20, 30 Biografien studiert haben.

Das werden nicht allzu viele sein.

Insofern ist ein Roman, der Thomas Mann samt der Geschichte, wie er zum Zauberer wurde, porträtiert, keineswegs unnötig.

Was hingegen am Porträtroman des bekannten irischen Schriftstellers stört:

Auch über Gustav Mahler ist schon viel geschrieben worden, und trotzdem hatte sich Robert Seethaler (trotz Warnungen) mit „Der letzte Satz“ vom nahenden Tod her dem Komponisten genähert.

Weil Seethaler Musik machen wollte.

Musik mit Worten.

Weil der Wiener versucht hat, Mahlers Neunte Symphonie – Freude, Berge und Blumen, Leid und Abschied von der Liebe und der Welt – in Buchstaben zu transkribieren.

Und Colm Tóibín? Er spult ab, marschiert von Kindestagen ins hohe Alter. Von München über die Schweiz nach Kalifornien. Über den Nobelpreis und die Berliner Rede, die von Nationalsozialisten gestört wurde, bis ins Exil und zurück nach Zürich. Auch die vielen Dialoge bringen nicht die gewünschte Dynamik.

Schöne Männer

Dazu kommt: Tóibín beschäftigt sich kaum mit dem Schreiben Thomas Manns.

Sondern verharrt immer wieder bei der versteckt gehaltenen Homosexualität des sechsfachen Vaters, als wäre sie immer und überall der Grund, und zwar der Grund für alles.

Tóibín hat Homosexualität schon mehrmals zum Thema seiner Romane gemacht. Er kümmert sich lieber um Thomas Manns Blick auf andere Männer, auf Buben, selbst auf seinen Sohn Klaus, den der Vater so schön findet. Und Katia Mann ist dementsprechend im Buch oft bloß in der Rolle einer Ehefrau, die „die Natur seiner Neigungen klaglos anerkennt.“

Susan Sontag, damals noch nicht die einflussreiche amerikanische Intellektuelle, aber eine wissbegierige 17-jährige Studentin, gelang es, den „Zauberer“ zu besuchen, um mit ihm über seinen Roman „Zauberberg“ zu reden.

Er war so banal.

Kann denn das sein? Vielleicht hat Susan Sontag die falschen Fragen gestellt.

Vielleicht hat Colm Tóibín das falsche Buch geschrieben.

 

Colm Tóibín:
„Der Zauberer“
Übersetzt von Giovanni Bandini.
Hanser Verlag.
560 Seiten.
28,95 Euro

KURIER-Wertung: ***