Kultur/Buch

Die besten Geschenke sind rechteckig und aus Papier

Sechs Jahre war er alt, es war wenige Tage vor Weihnachten und er ging zum ersten, doch nicht zum letzten Mal im Leben verloren. Er war seine erste Begegnung mit der Hauptstadt Prag, ein Tagesausflug mit dem Vater, der nun verzweifelt in der Menge stand und seinen Buben suchte. Sie fanden einander wieder, der Mutter erzählten sie nie von dieser Schrecksekunde, die der namenlose Erzähler auch Jahrzehnte später nicht vergessen hat. Jetzt steht er wieder hier am Bahnhof, es ist der Heilige Abend, er ruft seine Freunde an, keiner hebt ab. Und so macht er sich allein auf den Weg durch das verschneite Prag, in dessen Wirtshäusern das Bier so gut schmeckt. Hier trifft er einen Fremden namens Kafka, streunt durch leer gefegte kalte Gassen und will das Christkind nicht verpassen, das jedes Jahr in dieselbe Kneipe kommt, und sich mit der Straßenbahn wieder davonstiehlt.

Jaroslav Rudiš zu Herzen gehende, doch kitschfreie Weihnachtsgeschichte Weihnachten in Prag ist atmosphärisch eindrucksvoll, ebenso die außergewöhnlichen Illustrationen von Jaromír 99.

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Keine Rede von Weihnachtskitsch kann natürlich auch bei Erich Kästner sein. Sein Interview mit dem Weihnachtsmann ist 1949 entstanden. Eine zeitlose Philosophie über das, was hinter der Maske (des Weihnachtsmannes) steckt. Man merkt ihr nicht eine Sekunde an, dass sie nicht mehr ganz taufrisch ist. Verschmitzt und melancholisch zugleich – Kästner eben. Sagt der Journalist zum Weihnachtsmann: „Ich bin Journalist.“ Darauf der Weihnachtsmann: „Macht nichts.“

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Und vielleicht spricht ja auch dieses Büchlein manchen aus der Seele: Warum ich Weihnachten hasse, eine Erzählung des New Yorker Journalisten Robert Benchley. Auch hier: Dass diese Satire aus den 1920ern stammt, ist kaum zu glauben. Weihnachten „nach altem Brauch“ schien es auch damals nicht mehr gegeben zu haben – dafür viel Zores mit Truthahn und Familie.

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Wahrheit? Dichtung? Romanbiografien! Von Genie und Wahnsinn. 

So viel wusste man bereits: Nikola Tesla (1856–1943) war ein brillanter Erfinder,  der Hunderte Patente angemeldet hat, darunter das Zweiphasenwechselstromsystem, dessentwegen er im Clinch mit seinem ehemaligen Arbeitgeber Thomas Edison lag. Dass ein US-Milliardär sein E-Auto-Startup nach ihm benannt hat, hat den gebürtigen Kroaten natürlich auch wieder ins Gespräch gebracht. Alida Bremer schafft es mit ihrer Romanbiografie Tesla oder Die Vollendung der Kreise jedoch, den genialen Erfinder auch als Mensch greifbar zu machen, unter anderem mithilfe bisher unveröffentlichter Aufzeichnungen seiner Tochter. Vorab: Er war etwas exzentrisch.

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„Sous le ciel de Paris“: Montand, Piaf und die Gréco haben seine Lieder gesungen. Jean Dréjac (1921–2003), einer der größten französischen Chanson-Texter. Sein Sohn Frédéric Brun schildert in Jean den Lebensweg des Vaters, erwähnt auch dessen in Briefen dokumentierte Liebesgeschichte mit Édith Piaf. Brun bleibt diskret, er weiß, was er als Sohn darf, und was nicht.

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Diese Freiheit bedeutet mir alles lautet der Titel von Kerstin Ehmers Biografie der britischen Bildhauerin Kathleen Scott (1878–1947), und er bringt das Leben dieser geheimnisvollen Person gut auf den Punkt. Die Rodin-Schülerin war unkonventioneller Freigeist und furchtlose Weltreisende.     

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Natur, zum Lesen und Anschauen:  Die Welt in einer Muskatnussschale   –  und die Liebe zu  Mangrovenwäldern 
Schuld an allem ist die Muskatnuss. Einst war sie nur auf den indonesischen Banda-Inseln heimisch. Der Handel mit dem kostbaren Gewürz brachte die Niederländer  Mitte des 17. Jahrhunderts allerdings auf die Idee, die  Inseln zu überfallen, um sich das Muskat-Monopol  zu sichern und die ganze Insel zu versklaven.  Der indische Autor Amitav Ghosh schildert diese unschöne Geschichte menschenverschuldeter Krisen in seinem erzählenden Sachbuch Der Fluch der Muskatnuss so gut, dass man trotz allem nicht komplett verzweifelt.

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Vier Jahre, 1.600 Kilometer Eis und Schnee, 60.000 Höhenmeter. Der Pariser Reiseschriftsteller Sylvain Tesson berichtet in Weiß  von Skitouren, die er über mehrere Jahre jeden März um die gesamte Alpenkette von Menton in Frankreich bis Triest unternommen hat. Tesson ist ein Pionier des modernen Nature Writing, bei ihm  geht’s um mehr als Eis und Schnee, hier geht’s ans Eingemachte. Die großen Lebensfragen, die tote Tante sowie Sartre, Stifter und Proust kommen vor. Und die heiße Suppe, wenn er endlich die Hütte erreicht, die wärmt auch beim Lesen. 

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US-Schriftstellerin Annie Proulx kennt man spätestens seit der Verfilmung ihrer Kurzgeschichte „Brokeback Mountain“. Neben Romanen und Erzählungen schreibt die Pulitzerpreisträgerin auch Sachbücher. Moorland ist eine sehr persönliche Liebeserklärung an gefährdete Landschaften; von englischen Torfmooren über die Feuchtgebiete der kanadischen Hudson Bay bis in die heißen Sümpfe Floridas. Auch hier: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Auch für die Mangrovensümpfe, das wichtigste Ökosystem der Welt.

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Alte Hadern,  junge Talente: Von Wahrscheinlichkeitstheorien und Grillparzers schlimmsten Albträumen

Arielle hat ein durch eine Krankheit deformiertes Gesicht. Sie schneidet Lachmünder aus Zeitschriften aus und schiebt sie sich vors Gesicht, weil sie das eigene nicht anschauen kann. Über den Vater, der Wohnungen Verstorbener ausräumt, kommt sie an ein altes Handy mit  Fotos eines Mädchens, das  hat, was sie nicht hat: Schönheit. Arielle borgt sich Paulines Existenz, also deren Social-Media-Account. Matthias Grubers Debüt Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art ist ein richtig schönes Buch über ein richtig hässliches Thema: die sozialen Medien. 

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Die Wienerin Flora S. Mahler berichtet im Roman Die Zeitforscherin von Martina, für die der Weg zum Begräbnis der Oma  zu einer persönlichen Zeitreise wird, auf der sich die Welten der Toten und der Lebendigen zu treffen scheinen.  Was ist real? Nichts, alles nur wahrscheinlich. 

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Franz Grillparzers Reisetagebücher, egal, ob sie von Deutschland, England oder wie hier Griechenland erzählen, handeln  immer von schlechtem Essen. Auch Das habe ich mir anders vorgestellt enthält reichlich derartige Schilderungen (besonders schlimm in Kombination mit zu engen Unterhosen!). Dabei hätte diese seine letzte Reise ihn in bessere Stimmung versetzen sollen. Naja. Zum üblen Essen gesellte sich  Unbill. Die Schlimmste: Die Angst, für einen Bayern gehalten zu werden!

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