Kultur

Boomendes Genre: Filmevents mit Live-Breitwandsound

Vor wenigen Tagen in der Wiener Stadthalle: Auf einer Riesen-Leinwand läuft " Harry Potter und die Kammer des Schreckens". Davor sitzt das Radiosymphonieorchester Pilsen und spielt den Soundtrack von John Williams live zur Projektion. Im Publikum: Familien und Kinder, die klatschen, wenn "ihr" Harry zwischen fliegenden Autos und gemeingefährlichen Bäumen auftaucht, die johlen, wenn jemand Gryffindor sagt.

Shows mit Live-Musik-Begleitung zur Vorführung eines Films sind in Österreich im Kommen. Angekündigt sind Disneys "Die Eiskönigin", "Harry Potter und der Gefangene von Askaban", " Herr der Ringe – Die zwei Türme", "Star Wars in Concert" und, und, und . . .

Andreas Schessl, Geschäftsführer der Münchner Klassik-Agentur Alegria, der 2008 mit "Herr der Ringe" die erste dieser Shows nach Deutschland holte, kennt den Grund für den Boom solcher Shows: " Es ist einfach ein unglaubliches emotionales Erlebnis. Filmmusik, die ihren Stellenwert im Kino nicht so gut ausspielen kann, kann ihn dabei voll in die Waagschale werfen."

Emotionale Bindung

Alle Inhalte anzeigen

Der zweite Erfolgsfaktor ist für Schessl, dass seine Shows ein Community-Event sind: "Die Leute kommen, weil sie den Film kennen, schon eine emotionale Bindung dazu haben, seine Musik lieben und dabei die Charaktere zelebrieren können. Unsere Show ist interaktiver als ein normales Klassik-Konzert. Deshalb ist das ein Format, das Zukunft hat."

Perfekt dafür sind Filme, die eine starke Marke sind, und schon über Jahre hinweg eine große und hingebungsvolle Fan-Schar aufgebaut haben. Das schaffen vornehmlich Streifen wie Animations-Klassiker oder Serien wie "Herr der Ringe" , bei denen man in Fantasie-Welten abtauchen kann (die Erfolgsactionserie "Fast & Furious" eignet sich hingegen für eine andere Art der Show, siehe unten).

Für den Mehrwert des Live-Erlebens muss aber auch die Musik hochklassig sein. Dabei wird im Moment Orchester-Soundtracks der Vorzug gegeben – auch wenn es schon "In Concert"-Aufführungen mit den für ihren jazzigen Swing-Sound berühmten James-Bond-Filmen gibt. Orchestermusik "erlaubt es mit ihrer Komplexität und der Vielfalt der Möglichkeiten von Melodie, Rhythmus und Harmonie – mehr als Popmusik – Stimmungswechsel und Emotionen zu transportieren und die tiefe Bewegung, die schöne Bilder auslösen, zu verstärken", sagt der ehemalige Konzerthaus-Direktor Bernhard Kerres, der jetzt die Online-Plattform "Hello Stage" zu Vernetzung klassischer Musiker betreibt.

Freierer Klassikbetrieb

Er sieht diese Shows als Chance für den Klassik-Betrieb – speziell in Wien. Dass dadurch neue Publikums-Schichten inspiriert werden, zu herkömmlichen Klassik-Konzerten zu gehen, glaubt er nicht. "In die Stadthalle oder in den Musikverein zu gehen, ist ein großer Unterschied in der Hemmschwelle. Denn speziell in Österreich sind wir in den klassischen Kultur-Institutionen von so einer verstaubten Biedermeier-Etikette zugeklebt, dass jemand, den das interessiert, sich das nicht traut." Aber – anders als Kritiker, die durch das interaktive Event und den Film die Konzentration auf die Musik gestört sehen – will er davon lernen.

"Der rigide, auf die Musik konzentrierte Klassikbetrieb hat viel Schönes, muss aber nicht für alle Konzerte so sein. Wir können lernen, uns Formen zu überlegen, die freier sind. Denn dieses Steife ist sehr jung. Das gibt es erst seit dem Biedermeier, seit 1850. Früher hat man durchaus – wie im Jazz nach einem schönen Solo – bei einer schönen Kadenz geklatscht."

Auf die strikte Unterscheidung zwischen Gebrauchsmusik und hehrer Kunst führt Kerres auch zurück, dass es in Österreich gedauert hat, bis sich dieses Format durchgesetzt hat. "Schon Bernstein sagte, es gibt nur gute und schlechte Musik. Wir haben in Wien wahrscheinlich das beste Klassik-Angebot der Welt. Aber innovativ ist es nicht."

Befeuert wir das Belächeln der "In Concert"-Filme von Seiten der Spitzen-Orchester auch von der finanziellen Situation: Mitteleuropäische Orchester, die laut Kerres "in Deutschland oft bis zu 80 Prozent" subventioniert werden, haben das nicht notwendig. Schessl hört deshalb auch heute noch oft herablassend von Ensemble-Chefs: "Nein, so etwas machen wir nicht!" Renommierte US-Orchester, die wenig bis gar nicht subventioniert werden, sind dafür schon viel länger offen. So arbeitet Schessl gerne mit Orchester aus dem Osten. Die sind zwar nicht mehr viel billiger, aber sie haben die Expertise, weil aus Kostengründen eine Zeit lang sehr viele Soundtracks in Tschechien eingespielt wurden.

Mit besseren Orchestern, der digitalen Projektion , ohne die es keine punktgenaue Synchronisation von Orchester und Film gibt, und den auch im Riesenformat brillanten LED-Leinwänden stieg in den letzten Jahren die Qualität dieser Shows – und somit die Publikums-Akzeptanz.

Nur Cineasten sind mit dem Format nicht glücklich. "Es kommt mir völlig absurd vor, wenn ich einen Film sehe, davon die sorgfältig eingespielte Tonspur weggedreht wird, und jemand spielt mit dasselbe live vor", sagt Christoph Huber, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Filmmuseum. "Das ist aber symptomatisch für die Zeit, wo Kinos ein bisschen in der Krise sind und die Studios über Marketing und Zweit-Verwertung wie Streaming-Dienste mehr Geld machen als in den Kinos. Es ist etwas anderes – ein Event, das, um den Film herum kreiert wird. Ich verstehe, dass Leute darin einen Mehrwert haben. Aber ich will Filme nicht so sehen."

Nachgefragt: "Der Breakeven liegt bei 75 % Auslastung"

Veranstalter Andreas Schessl über das Budget solcher Shows:

KURIER: Sie haben mit „Herr der Ringe“ 2008 als erster so eine Produktion nach Deutschland geholt. Wieso dauerte es viele Jahre, bis Sie damit auf Tour gegangen sind?
Weil es ein immenser Kosten-Aufwand ist, und wir nicht wussten, wie wir das anpacken sollen. Da sind nämlich zuerst die Kosten für ein normales Symphonie-Konzert. Dazu kommen die Ausgaben für Film- und Videotechnik, die Musik-Rechte, in Österreich also für die AKM, und die Rechte der Filmstudios. Insgesamt ist das das Doppelte des Budgets eines normalen Sinfonie-Konzertes. Und Reise- und Hotel-Kosten sind ein Riesen-Problem. Bei „Herr der Ringe“ waren wir mit 250 Leuten unterwegs.

Wie hoch ist das Budget einer Show? Wo ist der Break-even?
Nicht, dass ich das nicht sagen wollte, aber es ist stark unterschiedlich. „Harry Potter“ war eine viel kleinere Produktion und so auch billiger. Man kann aber sagen, der Break-even liegt bei 75% Auslastung und aufwärts davon.


Wie werden die Film-Studios bezahlt?
Mit einer Pauschale, oder einer Prozent-Beteiligung, oder einer Mischform, wo sie eine Minimum-Garantie und ab einer gewissen Anzahl verkaufter Tickets einen Aufschlag bekommen. Damit sind auch die Rechte von Autoren, – bei „Harry Potter“ etwa die von J. K. Rowling – abgedeckt.

Howard Shore arbeitete drei Jahre an den Partituren für die Live-Shows von „Herr der Ringe“. Wie wird das den Komponisten abgegolten?

Wir müssen die relativ teuren Noten bezahlen. Im Fall von Howard Shore bekommt tatsächlich auch der Komponist Prozente. In der Regel wird die Leistung der Komponisten aber über die Musikrechte, also die AKM, abgegolten. Denn wenn die Shows oft gespielt werden, kommen da auch ansehnliche Summen zusammen.

Service: Kommende Film/Orchester-Events in Wien

  • „Die Eiskönigin“ Mit dem Max-Steiner-Orchester 16. 3. Graz/Stadthalle, 17. 3. Linz/TipsArena, 18. 3. Salzburg/ Arena, 25. 3. Wien/Stadthalle
  • „Final Symphony“ Die Musik des Soundtracks zum ComputerspielFinal Fantasy“: 17. 3. Wien/Konzerthaus.
  • „Planet Erde II“Hans Zimmers Musik zur Natur-Doku: 2. 4. Wien/Stadthalle
  • Star Wars – Eine neue Hoffnung“Der komplette Film mit Orchester: 14. 4. Wien/Stadthalle
  • „Der Herr der Ringe – Die zwei Türme“ 8. 12. Wien/Stadthalle
  • „Wonderful Worlds“: Eine Reise durch die Welten der schönsten Disney-Filme: 2. 12. Innsbruck Olympiahalle, 22. 12. Wien/Stadthalle
  • Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ 13. 4. 2019 Wien/Stadthalle
  • „Score“: Kinofilm ohne Live-Musik. Die hervorragende Doku über Entwicklung und Stellenwert von Soundtracks startet am 23. Februar

Das Parfum des Abends kam aus dem Auspuff. Der gar nicht diskrete Duft von verbranntem Treibstoff war die keineswegs unerwünschte Nebenwirkung in der O2-Arena in London: Geruchskino zu einigen in eine Live-Show übersetzten Stunt-Szenen der amerikanischen Actionfilm-Serie Fast & Furious.

Jetzt brettern also die tollkühnen, meist zum Stanitzel auftrainierten Männer mit Vollglatze und nabelfrei präsentierten Girls in den auffrisierten Boliden nicht nur durch Testosteron-Bleifuss-Streifen im Kino, sondern mit Karacho live durch die Arena: Abgesehen von den bemüht coolen Sprüchen der Präsentatoren im Playback.

Vollgas-Helden

An dem Ort, wo 2009 Michael Jackson 50 Konzerte geben wollte, für die in wenigen Stunden eine Million Tickets verkauft wurden, ehe der "King of Pop" 18 Tage vor der Opening Night starb, gab’s am Freitag vor 6750 Premierengästen viel Brumm Brumm und noch mehr Imponiergehabe: Auf einer überraschend kleinen Spielfläche röhren und heulen, fauchen und furzen die Motoren der aufgemotzten Boliden. Dazu: entfesselte E-Gitarren und knallharter Beat zu den quietschenden Reifen von bis zum Überdruss um sich selbst kreiselnden Autos.

Ganz am Anfang tritt Vin Diesel ins Rampenlicht, klein und unscheinbar. So gar kein Alphamännchen im wirklichen Leben. Hätte er sich eine Krawatte umgebunden, man hätte gedacht, er wollte Bausparverträge verkaufen.

Lektion 1: Im wirklichen Leben schrumpfen Bigger-Than-Life-Leinwandhelden.

Der Action-Hero sagt "Whow, whow" – und damit ist auch alles gesagt über das Blechkübel-Ballett.

Effektbombast

Das führen von 250 ernsthaften Bewerbern ausgewählte elf Stunt-Fahrer auf. Sie lassen nach dem Motto "Entertainment im Geschwindigkeitsrausch" die Flitzer tänzeln und scharwenzeln, bis einem die Heckschlenker in permanenter Wiederholung ein Gähnen ins Gesicht zaubern.

Lektion 2: Jedes Medium hat seine Gesetzmäßigkeit. Und weil es wie im Theater auch beim Live-Spektakel keine Schnitttechnik wie im Film gibt, muss die Live-Action mit Video-Zuspielungen, 3D-Projektionen und pyrotechnischen Gags garniert und mit Maschinengewehrgeknatter aufgepeppt werden.

Zum Einsatz kommen auch Original-Fahrzeuge oder detailgetreue Nachbauten – vom Flip Car bis zum Dodge Charger aus dem Jahr 1970, in dem Vin Diesel als Dom Toretto im Film rasante Straßenrennen fuhr.

Eine in fünf Jahren entwickelte bombastische Show für Autonarren um mehr als 25 Mio. € Produktionskosten: Für die der Sound eines V8-Motors Musik ist.

Eine drängende Frage für die Benzinbrüder, bei der Premiere zum Teil in Jogginghosen: Wie viel Gummi lässt sich wie schnell vernichten? Production-Manager Rowland French hat es berechnet: "Bei den Proben waren es 100 Reifen pro Woche. Auf Tournee werden es 6500 Reifen pro Jahr sein."

Wem sich der sinnentleerte Spaß an brennenden Motorhauben, an heißen Schlitten im Dauer-Schleuder-Modus und an Tschin-bummkrach-Exzessen durch die Luft fliegender Flitzer nicht erschließt, ist hier fehl am Platz.

Lektion 3: Aber weil die Liebe zu schnellen Autos universell, die simple Dramaturgie von Autorennen über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg leicht zu verstehen ist, darf man auch diesem Spiel mit ungezähmten Pferdestärken getrost Erfolg voraussagen.

Info:Fast & Furious Live, 9. bis 11. 2.; Wiener Stadthalle. Karten: 01/253 888 www.fastandfuriouslive.com

Alle Inhalte anzeigen