Kultur

Bob Dylan: Für kurze bis längere Regenschauer

Ein neues Bob-Dylan-Album ist meistens ein mittleres Volksfest für das Feuilleton. Der Kulturredakteur von heute ist ja doch eher mit Pink Floyd oder Joy Division sozialisiert worden als mit Puccini oder gar Robert Stolz. Auch die Generation Tocotronic ist längst in den Redaktionen angekommen. Und anhand von Bob Dylan lässt sich so schön nachweisen, dass Pop eh auch Hochkultur ist, da traut sich niemand zu widersprechen. Bitte, der Mann ist seit Jahren beinahe Literaturnobelpreisträger!

Dylans neues Album "Shadows In The Night" ist, was seine feuilletonistische Knetbarkeit betrifft, ein besonderer Glücksfall, lässt es sich doch mit ein wenig gutem Willen auf die Formel "Dylan singt Sinatra" reduzieren – und das ist natürlich ein Heidenspaß: Die zerrupfte Friedhofskrähe Dylan krächzt sich tatsächlich durch Songmaterial, welches früher von ol’ blue eyes’ Tuxedo-Stimme akustisch aufgebrezelt wurde? Soll das ein Scherz sein?

Nun, zum einen singt Dylan keine Sinatra-Trademarks wie "My Way", sondern Stücke aus dem "American Songbook", die eben auch schon von Sinatra interpretiert wurden. Songs wie "Stay With Me", "Full Moon And Empty Hearts" oder "Autumn Leaves". Zum Zweiten krächzt er gar nicht. Im Unterschied zu seinen jüngsten Konzerten, zu seinem fantastischen Album "Tempest" von 2011 oder seinem Weihnachtsalbum "Christmas In The Heart" (DAS war wirklich ein Gag, wenn auch ein sehr guter) singt Dylan diesmal fast zärtlich. Natürlich wird aus ihm niemals ein Tony Bennett, aber das neue Album markiert vermutlich die größtmögliche Annäherung Dylans an den schönen Beruf des Crooners.

Alle Inhalte anzeigen

Dylan selbst beschreibt seine Herangehensweise mit typisch knurrigem Humor: "Ich sehe mich in keiner Weise als jemand, der diese Songs covert. Sie wurden schon genug gecovert, in der Tat schon begraben. Meine Band und ich entcovern sie, holen sie aus dem Grab und bringen sie zurück ans Tageslicht." Ein Wortspiel mit der doppelten Bedeutung des Wortes "covern": Interpretieren – aber auch zudecken.

Aufgenommen wurde, betont Dylan, auf die alte Weise, die auch als die "gute" gilt: Keine Aufnahmekabinen, keine Kopfhörer, keine getrennten Kanäle, alle spielen gemeinsam, abgemischt wird während der Aufnahme. Dylan spielte mit seiner Tourband, das Material muss also ohne Streicher-Spachtelmasse und Bläser-Anstrich auskommen. Das tut den Songs gut – sie klingen wie aus der Zeit gefallen, ein bisschen geisterhaft, aber gleichzeitig warm und vertraut. Ein Album für die kürzeren bis längeren Regenschauer des Lebens.

Dylan: Ein Musikmythos in Bildern