Biedere "Carmen" zum Finale der Berliner
Die letzte Premiere des Berliner Eliteorchesters beim 1967 von Herbert von Karajan gegründeten Festival reihte sich nahtlos in das ein, was man unter der Führung von Simon Rattle schon in den vergangenen Jahren bei den Salzburger Osterfestspielen im Opernfach gesehen hatte: biederes Mittelmaß.
Georges Bizets "Carmen" hatte der Dirigent zum Abschied angesetzt, ehe die Berliner Philharmoniker ab 2013 zu Ostern in Baden-Baden spielen, während in Salzburg Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden einziehen. Für eine "Carmen"-Produktion beim teuersten Festival der Welt braucht man aber geradezu zwingend eine adäquate Carmen. Und einen ebensolchen Escamillo. Beides ist in Salzburg nicht der Fall.
Problemzonen
Magdalena Kožená hat für die Titelpartie nicht die nötige erotische, verführerische, gefährliche Ausstrahlung. Vor allem in den Tanzszenen wirkt sie bestenfalls bemüht, obwohl die Regisseurin und Choreografin Aletta Collins viele hübsche Mädchen um sie herum springen lässt, um das Auge des Betrachters abzulenken. Auch sängerisch hat Kožená ihre Mühen – die Ausbrüche in der Höhe überzeugen ebenso wenig wie ihre Tiefe, die nicht lasziv genug ist.
In einem kleineren Haus (und im Idealfall konzertant) könnte Kožená eine Carmen sein. Für die Osterfestspiele ist diese Darbietung zu wenig. Wobei sie einem leid tun kann, weil in Medien schon vorab über Unzulänglichkeiten diskutiert wurde.
Die sind beim Escamillo des Kostas Smoriginas noch evidenter. Er ist ein Nachwuchs-Torero, dem man den Kampf mit dem Stier wirklich nicht wünscht. Stimmlich ist er der Schwächste unter der Protagonisten.
Wenn wir schon bei Superlativen sind: Genia Kühmeier überzeugt mit ihrem glockenreinen, lyrischen, aber durchaus kraftvollen Sopran am meisten. Ihre Micaëla-Szenen zählen zum Berührendsten. Vor allem im Zusammenspiel mit Jonas Kaufmann, dem fabelhaften Don José, der mit seinem baritonalen Timbre und seiner tenoralen, Wagner-erprobten Kraft eine Meisterleistung bietet. Die kleineren Partien sind angemessen besetzt.
Sir Simon Rattle am Pult der Berliner Philharmoniker kann mit dem exzellenten Orchester dann überzeugen, wenn er auf impressionistische Farbenpracht setzt. In diesen Momenten klingt das Orchester zart und delikat. An Dramatik (und auch an Präzision) lässt er jedoch einiges vermissen. Die veristischen Ansätze hört man kaum.
Optik aus den 1960er Jahren
Das sich mehrfach wechselnde Bühnenbild (Miriam Buether) ist farbenprächtig, die Inszenierung ganz klassisch. Sie wäre durchaus geeignet für ein Repertoiretheater. Für ein Festival ist diese Produktion aber doch recht bieder. Die Flamenco-Tänzerinnen, die auch vor dem Orchester, also direkt beim Publikum, agieren, sorgen für jenes Tempo und die Dynamik, die man nicht immer hört – man hat diese Bilder aber schon allzu oft gesehen. Die Personenführung ist brav, das Leiden und Ringen spürt man nur selten. Rein optisch könnte diese "Carmen" den Gründungsjahren des Festivals entstammen.
Auch bei den Salzburger Sommerfestspielen steht diese Produktion heuer auf dem Programm – mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Rattle anstelle der Berliner. Wichtiger wären Änderungen bei der Besetzung.
KURIER-Wertung: *** von *****
Fazit: Aufhören, wenn`s nicht am schönsten ist
Das Werk
"Carmen" von Georges Bizet (1838 – 1875) wurde drei Monate vor dem Tod des Komponisten in Paris uraufgeführt.
Die Sänger
Genia Kühmeier (Micaëla) ist die Beste der letzten Salzburger Produktion der Berliner, Jonas Kaufmann ein fabelhafter Don José, Magdalena Kožená eine blasse Carmen.
Der Dirigent
Rattle lässt viel an Dramatik vermissen.
Die Regie
Bunt und bieder.
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