Berlin: Kunst und Kult mit Björk und Blur
Von Karl Oberascher
Blur und Björk. Zwei Acts, nach denen man in heimischen Gefilden in den letzten Jahren vergeblich suchte. Beim Berlin Festival, das dieses Wochenende am Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof vor monumentaler Festivalkulisse stattfand, gab es diese raren Boten aus den 90ern gleich im Doppelpack zu erleben.
Massiv
Das gleichnamige Album basierte auf einer interaktiven App. Dazu sollten bei Auftritten auch Diskursveranstaltungen zum Thema des Albums kommen: Naturphänomene erklärt durch Musik. „Biophilia“ ging sogar in den Lehrplan Reykjaviks, der Heimtatstadt Björks, ein. Bei den Kritiken zum Album stand dann auch vor allem dieser Aspekt des gesamtheitlichen Konzepts im Vordergrund, das mittlerweile auch von Jay-Z und Lady Gaga – beide veröffentlichen dieser Tage Alben, die ebenfalls in App-Form erhältlich sind – übernommen wurde.
Konzept und Kunst
Live konnten sich die 20.000 Besucher am Tempelhofer Flugfeld dann auch von der Kraft der schieren Musik überzeugen. Ein geradezu verhaltenes „Hunter“ bereitete den Auftakt. Herrlich, das Zusammenspiel mit dem 11 Frau starken Chor, der sich im Laufe das Abends auch als veritable Ausflipp-Maschine entpuppen sollte.
Hauptstadtkultur
An den Auftritt von Björk kam Kalkbrenner mit "Sky and Sand" und Co. jedenfalls nicht heran. Aber das Berlin Festival hat sich eben die allseits zitierte Großstadtkultur auf die Flyer und ins Programm geschrieben. Berlin ist zu einer Marke geworden, die freudig bedient wird.
Mit Shuttlebussen wurden die Festivalbesucher vom Flugfeld direkt in die Arena X gefahren, wo unter anderem Miss Kittin, Breakbot und Justice (DJ-Set) zeigten, was mit Hauptstadtkultur gemeint sein könnte.
Mission geglückt. Die berühmten Jutetüten (jaja, das heißt Stoffsackerl, aber was will man machen, die nennen das hier halt so) waren dann auch am Berlin Festival zuhauf anzutreffen.
Blur mit Nostalgieshow
Bevor Björk am Samstag ihren fulminanten Auftritt feierte, ging das Berlin Festival mit Blur am Freitag in seine fünfte Auflage. Die Briten gaben einen ihrer raren Festival-Auftritte. Mit „Girls & Boys“ wurde das Publikum direkt in beste Britpop-Jahre zurückkatapultiert. Die durchwegs älteren Semester konnten praktisch alle der 17 Nummern mitsingen.
Synthie-Pop und Postrock
Zu Bloody Valentine lässt sich außer einem leise geseufzten "Schade" nicht viel sagen. Die Briten spielten auf einer der drei kleineren Bühnen, die jeweils in einem der überdimensionalen Hangars untergebracht waren und litten besonders unter der teils katastrophalen Akustik in den Hallen. Vom Gesang Kevin Shields' war praktisch nichts zu hören. Dafür gab es ausführliche Gitarrensoli wie bei "Honey Power". Auch was.
Dillon und Sohn
Musikalisch gilt es noch "Dillon" und "Sohn" hervorzuheben. Die junge Songwriterin hat ihre Live-Performance zu einer mysthischen Erfahrungswelt weiterentwickelt. Mit indirektem Licht und drängenden Elektrobeats. Die verletzliche, zarte Simme von Dillon ist ja auch auf Platte ein echtes Erlebnis. Auf ähnliche Weise eindrücklich: Der Auftritt von SOHN. Der Engländer mit Homebase Wien lockte eine ansehnliche Traube vor seinen Hangar. Dass SOHN eines der interessantesten Elektronik-Projekte der jüngeren Vergangenheit ist, hat sich offenbar auch nach Berlin durchgesprochen.
Dass beim Berlin Festival auch noch Casper in seiner routinierten Hype-Show („Alle Mittelfinger hoch“) auch Rap… Kollegen (…?) Cro auf den Arm nahm, indem er sich eine Maske auf den Kopf setzte ("Rap und Maske, das klappt immer"); dass die Whites Lies, ihres Zeichens veritable Indie-Stars, in ihrer britischen Heimat auch am Festland mit poppigen Melodien und dem Bariton von Sänger Harry McVeigh überzeugten; dass Left Boy schon am ersten Tag wie schon zuletzt beim Frequency zu (unerklärlichen) Co-Headliner-Ehren kam; und dass Pantha Du Prince den stimmungsvollen Abschluss abseits der Hauptbühne besorgte, sei hier nur noch der Vollständigkeit halber erwähnt.