Kolumnen

Wiener Ansichten: Was wirtschaftlich zumutbar ist

Da waren Wiesen und Felder, ein paar Hochhäuser und da war ein altes Dorf.

Aufwachsen in den 70ern am Rande von Floridsdorf. Da, wo die Stadt ausrinnt und mit Kornblumen, Mohn und Kukuruzfeldern nach Niederösterreich hinüberwächst. Heute ist fast alles verbaut, in der Erinnerung wird es immer bleiben, wie es war.

Auf Fahrrädern sind wir durch die Gegend gestreift, die Nachbarskinder, der Hund und ich. Die Sommertage dauerten ewig, der Horizont und das Ende der Sommerferien waren weit weg und am Sonntag versammelten sich alle beim Schwimmteich drüben in Hirschstetten. Die Eltern rauchten Kette, die Hunde liefen ohne Leine und die Väter hatten unfassbare Koteletten. (Dabei waren sie, wie sich später, als aus Kindern Teenies wurden, herausstellte, gar nicht so liberal, wie sie damals taten).

In Floridsdorf und der Donaustadt gibt’s einige alte Dörfer, allesamt sind sie bedroht durch gnadenlosen Autostraßenausbau und das, was man Immobilienentwicklung nennt.

Unter den sieben Dörfern Floridsdorfs ist Leopoldau eines der schönsten. Ein altes Angerdorf, mit Dorfplatz und gut erhaltenem historischen Kern. Im Hof des neben der Kirche liegenden Kindergartens buhlten wir um die Gunst von Tante Gabi und erzählten einander Gruselgeschichten, die wir lange selber glaubten: „Wer Kaugummi schluckt, dem wächst ein Gummibaum im Magen.“ Was man als Kind aber nie glaubt, ist, dass es eines Tages nicht mehr so sein wird. Als Erwachsener kann man es ja auch kaum glauben. Nämlich, dass zwei der charakteristischen alten Häuser dort nun abgerissen werden. Obwohl der Leopoldauer Platz seit 1978 Schutzzone ist, wo eigentlich nicht abgerissen werden darf. Wie das geht? Fragen Sie „Immobilenentwickler“. Laut Baubehörde sei es „wirtschaftlich nicht zumutbar“ die Häuser, die keineswegs baufällig wirken, stehen zu lassen. Jetzt kommt dort ein Neubau mit 86 Wohnungen. Garantiert wirtschaftlich zumutbar.

Entschuldigen Sie mich bitte, ich geh jetzt heulen.