Kolumnen

"ÜberLeben": Nicht-Orte

Ich stehe an der Kassa des neuen Supermarkts in der Schlange, und erstaunlichweise ruft niemand „zweite Kassa“. Vor mir schlichtet eine junge Mutter Waren auf das Förderband, während ihre kleine Tochter blass danebensteht. Dann, plötzlich, ohne Vorwarnung, übergibt sich das Kind auf den Boden, oder, wie man bei uns sagt: Es speibt sich kerzengerade an. Sofort breitet sich ein scharfer Geruch aus, während die Mutter verzweifelt versucht, die Sauerei aufzuwischen. Die Frau und das Kind tun mir leid, aber die Situation hat auch etwas Komisches. Das Unglück steht in krassem Gegensatz zur strahlenden Umgebung. Offenbar findet das Kind den neuen Supermarkt zum Kotzen.

Vorher stand hier der alte Supermarkt, wobei der gar nicht so alt war, vielleicht zehn Jahre. Mit dem alten Supermarkt war soweit alles in Ordnung, er war ein ganz normaler Supermarkt. Aber dann hat der Konzern, dem der Supermarkt gehört, beschlossen, dass es eines neuen Supermarkts bedarf. Und er hat den alten Supermarkt eingerissen, das Nachbarhaus gleich dazu und in wenigen Wochen einen neuen Supermarkt errichtet, doppelt so groß und dreifach so schön.

Der neue Supermarkt sieht aus wie ein Tempel des Konsums: Hell, mit Holz verkleidet, die Gänge zwischen den Regalen sind wie Boulevards. Und damit sich niemand in dem riesigen Raum verirrt und für immer verloren geht, sind alle Warengruppen mit Hinweisschildern versehen.
Ich mag Supermärkte. Sie sind klassische Nicht-Orte, so wie Tankstellen oder Flughäfen. Sie haben keinen Charakter, keine Identität, keine Geschichte. Ich finde Nicht-Orte angenehm, sie sehen überall gleich aus, das hat so etwas Beruhigendes an sich.

Den neuen Supermarkt finde ich schrecklich in seiner Protzigkeit und gleichzeitig freundlich, weil er hell ist und warm und gut riecht. In ein paar Jahren wird er nicht mehr neu aussehen, dann werden sie ihn einreißen und einen noch Größeren bauen.