Paaradox: Geknipst
Sie
Eitel ist der Mann, edel und eh sehr lieb: Dieses (abgewandelte) Zitat passt perfekt auf den da drüben. Stichwort: Handyfotos. Er hat eine große Sammlung davon, und einige, ähem, sind Selfies: Hufi beim Sport, in der Sonne, beim Biertrinken, beim Schnitziessen, im Wald, sowie: Hufi und Hund. Und naturgemäß mit gnä Kuhn. Immer, wenn wir paaradoxe Lesungen veranstalten, ereilt mich backstage zügig sein Ruf: Mach ma ein Foto von uns! Selbstverständlich, um einen Gruß aus der Garderobe in den sozialmedialen Äther zu beamen, mit ein paar launigen Zeilen, meist ein Zitat. Etwa: „Ihre Ecken passen gut zu meinen Kanten.“ Oder so.
Komisches glitzern
Nett. Allerdings ist er ein bisserl kritisch, nur böse Zungen würden das Wort „eitel“ bemühen. Folglich knipst er nicht ein Foto, sondern macht 100 Bilder, damit er „die Wahl hat“. Da sitzt er dann und brütet. Versucht, den richtigen Schnitt zu finden, sodass die Glatze nicht so komisch glitzert. Beziehungsweise sein Lachen nicht wirkt, als stecke eine Salzgurke in seiner Backe. Und sein Antlitz nicht aussieht, als würde er 100 Leberkässemmerl pro Tag verspeisen. Dann folgen Fragen wie: Das schaut gut aus, oder? Da schau ich blöd, stimmt’s? Ich lüge nur genervt: „Wurscht, nimm irgendeines, du wirkst auf jedem Bild wie ein männliches Supermodel!“ Und tippe auf jenes Foto, auf dem ich ideal aussehe. Das überzuckert er und murrt: Geh, du schaust nur auf dich. Stimmt! Weil mir der pandemische Slogan Schau auf dich, schau auf mich nach wie vor manisch im Kopf herumschwirrt. Schließlich fiel mir bei der letzten Garderoben-Selfie-Session in St. Pölten ein Dialog ein, den ich einmal zwischen einer Frau und einem Mann gehört hatte, der vor einem Palais poste. SIE: Bitte, was machst du da? ER: Ich fotografiere den morbiden Charme des Verfalls. SIE: Ah, du machst also ein Selfie! Davon erzählte ich dem Herrn gegenüber selbstverständlich nix, wir wollten ja auf der Bühne lustig, froh und munter sein.
Er
Begonnen hat das alles mit einem Foto von uns beiden. Das postete meine Frau, die als Aktivistin immer noch überzeugt ist, dass Instagram irgendwie lustig ist (während mir auf dieser Plattform nach gefühlt 13 Scroll-Sekunden fad wird). Auf diesem Selfie war zu sehen, wie wir einen Spaziergang machen. Dabei offenbarte sich die Königin der Pose mit gewinnendem Lächeln und ein paar Sonnenstrahlen im Antlitz, als müsste sie „Vitaldragees für die Frau ab 30“ bewerben. Ob es vor Veröffentlichung noch eine Bearbeitung gegeben hatte, weiß ich nicht. Entscheidend ist, wie ich aussah. Nämlich wie ein grimmiger Waldschrat im Halbschatten, neben dem kurz zuvor gerade der Blitz eingeschlagen hatte – was durch die gekrümmte Körperhaltung und das verschreckt-dümmliche Gesicht zum Ausdruck kam. Damals habe ich gesagt: „Bitte, wie kannst du ein Foto raushauen, das den Anschein erweckt, ich hätte stockbesoffen die Nacht in einem Erdloch verbracht?“ Ihre Antwort: Oha, so genau habe ich gar nicht geschaut. Was nur die halbe Wahrheit ist. Ehrlicherweise gefiel sie sich so gut, dass sie den entrückten Freakgatten neben sich in Kauf nahm.
Attitüde
Nach diesem Ereignis habe ich eine Qualitätskontrolle eingeführt. Ich hatte für Fotos von uns stets ihre Freigabe eingeholt. Wissend, dass gnä Kuhn in Sekundenschnelle Makel entdeckt, auf die ich nie kommen würde (geht nicht, da schaut die Zornesfalte so dominant aus). Das wollte ich nach meiner Volldolm-Erfahrung umgekehrt auch gewährleisten. Lustig daran ist, in welchem Ausmaß ihr ein Verhalten bei mir auffällt, welches bei ihr selbst in die Kategorie „naturgemäß“ fällt. Ich lerne: Aus 73 Selfies das passende heraussuchen, ist eine kuhn’sche Routine, die nicht der Rede wert ist. Aus fünf Selfies das passende heraussuchen, ist eine hufnagl’sche Attitüde, die in den Worten gipfelt: Was du für ein G’schiss machst. Aber ein gelernter Waldschrat bleibt gelassen. Und sagt zum Leben „Cheeeese“.