Fabelhafte Welt: Wir sind alle Prinzessinnen auf der Erbse
Von Vea Kaiser
Wenn Sie nicht systemerhaltend berufstätig sind oder schulpflichtige Kinder haben – mit anderen Worten: Wenn Sie nicht seit einem Jahr damit beschäftigt sind, Ihre innere Heldin vor dem Ausbrennen zu bewahren, dann geht es Ihnen wahrscheinlich ähnlich wie mir und Sie kennen Ihr Zuhause mittlerweile richtig gut.
Vielleicht erlebten Sie auch diese Momente der inneren Zufriedenheit, weil Sie im vergangenen Jahr geschafft haben, was Sie ein Jahrzehnt vor sich herschoben: alle Kasterln ausmisten, den Keller zusammenräumen, die Innenschränke geputzt wissen, rein gar nichts im Hinterkopf haben, was seit Ewigkeiten erledigt werden will. Ich fand sogar lang Verschollenes, wie die Polaroid-Kamera, und deklarierte anderes als endgültig verloren, wie den rechten kabellosen Kopfhörerstöpsel. Möge er in Frieden ruhen.
Der Rücken ächzte
Apropos Frieden. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber bei mir dauerte diese himmlische Zufriedenheit mit dem Zuhause nicht allzu lang an. Eines Nachmittags las ich gemütlich in einem Buch, als mich gar plötzlich ein schreckliches Unwohlsein befiel. Steif ward der Nacken, es ächzte der Rücken, und nach fünf Jahren in unserer Bleibe merkte ich erstmals: Bei uns zieht’s wie in einem Vogelhaus! Zugluft, diese Geißel des die Höhle verlassen habenden Menschen, durchweht auch unsere Altbauwohnung.
Während ich also Kälteschutzvorhänge und Schaumstofffensterpolster montierte, sagte mein Mann: „Ich wusste gar nicht, dass ich eine Prinzessin auf der Erbse geheiratet hab – oder eher: Kaiserin.“ Das ärgerte mich sehr, denn in unserer Beziehung ist eigentlich er derjenige, der nur auf „seiner“ Bettseite schlafen kann. Ich glaube vielmehr, ich habe etwas über das menschliche Wesen gelernt: Egal, wie hübsch und aufgeräumt der Palast ist, wenn wir ihn nicht mehr verlassen, werden wir alle zu Prinzessinnen auf der Erbse.