Kolumnen

Fabelhafte Welt: Was ist die Liebe?

Vea Kaiser über die Sehnsucht wieder ganz zu sein

Noch vor zwei Jahren war ich der Überzeugung, dass Heiraten überbewertet, und durch eine Verschwörung der Blumen-Dekorationsartikel-Schmuckdesigner-Kuchen-Mafia hochgeschaukelt sei, und es die eine große Liebe sowieso nicht gäbe. Nun bin ich seit letzter Woche glückliche Ehefrau – nach einer chaotischen, wunderschönen Großhochzeit, die der süditalienischen Hochzeitsindustrie die Bilanzen aufgehübscht hat. Für wen heiratet man eigentlich, fragte ein Freund, der kommendes Jahr vor den Traualtar tritt. Heiratet man für sich oder für die anderen? Für die Liebe, antwortete eine Bekannte, und verwies darauf, dass, würde man der Liebe lediglich eine Gartenparty schmeißen, die Verwandten und Freunde wohl kaum anreisen würden. Doch was ist diese Liebe? In meiner Hochzeitsrede erzählte ich einen Mythos des Philosophen Platon. Einst waren die Menschen kugelförmig, hatten zwei Gesichter, vier Beine, vier Arme, sahen alles und bewegten sich Räder schlagend vorwärts. Sie fühlten sich so vollkommen, so unbesiegbar, dass sie die Götter im Olymp von ihrem Thron stoßen wollten. Zur Strafe schnitt Zeus die Kugelmenschen mit seinen Blitzen entzwei. Apoll zog ihnen die Haut über die Wunde und verknotete sie im Nabel, damit wir, die daraus entstandenen Menschen, beim Blick auf unsere Körpermitte erinnert werden, dass wir zur Strafe für unseren Übermut nur noch halb sind. Laut diesem Mythos sei Liebe die Sehnsucht danach, mit der Hälfte, von der man getrennt wurde, wieder ganz zu sein. Ich mag diese Geschichte, denn sie geht davon aus, dass man mit dem richtigen Menschen stärker ist als alleine und die vollkommene Zufriedenheit erreichen kann. Und das erklärt, warum verliebte Menschen sich verrückt benehmen und so irrsinnige Dinge tun wie die Götter im Olymp anzugreifen oder Hochzeiten zu feiern. Weil uns die Liebe dazu treibt.

vea.kaiser@kurier.at