Kolumnen

Fabelhafte Welt: Guilty Pleasures

Wir alle haben unsere Guilty Pleasures: Vergnügen, die wir aufgrund ihrer ungesunden Natur grundsätzlich meiden, die aber dennoch so ergötzlich sind, dass wir sie uns zuweilen gönnen müssen. Für viele Guilty Pleasures ist der Advent die richtige Zeit. Manch einer braucht die gelegentliche Überdosis Zucker. Manch andere, die bis zur Besinnungslosigkeit betriebene Völlerei dampfender Speisen. In meinem Bekanntenkreis häufig ist das anlassbezogene Besäufnis auf Weihnachtsfeiern. Die sind nie geplant, sondern, wie ich das analysiere, der fatalen Kombination von Überarbeitung und tückisch süßen, hochprozentigen Heißgetränken geschuldet. Mich lädt ja nie jemand zu Weihnachtsfeiern ein, Zucker mag ich nicht, und um bis zum Fresskomma zu schlemmen, brauchen wir Niederösterreicher kein Hochfest als Grund, uns reichen ordinäre Sonntage. Mein persönliches vorweihnachtliches Guilty Pleasure besteht daher in Basteln, bis die Finger bluten. Im Advent kann man das machen, ohne sich vorzukommen wie eine verkappte Handarbeitslehrerin oder eine Achtjährige auf Aufputschmitteln. Seit Tagen sind meine Heißklebepistole und ich unzertrennlich, und wenn das letzte Mitglied meiner Familie mit einem Kranz oder einem Kalender zwangsbeglückt wurde, werde ich mich wahrscheinlich dem „erweiterten Basteln“ zuwenden, d. h. die Schlafzimmervorhänge kürzen, das Kellerabteil ausräumen, Bücherregal ordnen und und und was uns Schriftstellern halt noch so einfällt, um das Schreiben eines neuen Romans zu vermeiden, bis ich kurz vor Weihnachten erschöpft zusammenbrechen werde, genau wie die Völlernden, Zucker-Überdosierenden und Weihnachtsfeierchamps. Und das ist das Beste an den vorweihnachtlichen Guilty Pleasures: sie befriedigen uns, machen uns aber auch so fertig, dass es dann völlig okay ist, ihnen ein Jahr lang nicht mehr zu frönen.

vea.kaiser@kurier.at