Kolumnen

Chaos de Luxe: Die Neurosen der Molche

Polly Adler über kritische Momente der menschlichen Seele

Oh Gott, hast du gesehen, wie die aussieht? Essstörung, aber volle Kraft voraus“, konstatierte Z, als eine junge Frau mit Kleidergröße Kinderabteilung an uns vorbeistakste. Das Paradoxe an der Ansage war, dass Z selbst alle Kalorien, die sie zu sich nahm (nie über 1.500 Tagesration) per Vornamen kannte und jedes Salatblatt von überflüssigem Öl nackt peitschte, ehe sie  begann es langsam wiederzukäuen. Das Phänomen  „Die schärfsten Kritiker der Molche sind meist ebensolche“ (als Urheber des Zitats werden die Herren Gernhardt/Bernstein genannt)  begegnet mir neuerdings in den komischsten Varianten. Meine Mutter, deren Stimmorgan sich durch jahrzehntelanges Unterrichten auf der Lautstärke einer Feuerwehrsirene eingependelt hat, mahnt meinen ohnehin sehr leisen Vater ständig ab, dass er endlich seine Tonlage mäßigen soll, er könne ja die Nachbarn stören. Ich selbst, die Bezirkskönigin an Talentlosigkeit beim Autofahren, fluche gerne wie ein mongolischer Bierkutscher, wenn im Straßenverkehr tollpatschige Mitbürger hinter dem Volant sitzen („Führerschein in der Lotterie g'wonnen, ha?“ und ähnlich Derbes). Ein Freund, der es im Müßiggang zur Meisterschaft gebracht hat und nie vor High Noon in die Gänge kommt, poltert wiederum gerne über „das faule Gesindel, das wir alle mitfinanzieren müssen“. Und so geht es dahin in der Endlosschleife. „Nichts Neues unter der Sonne“, zeigt sich meine Freundin F, Psychotherapeutin, gelangweilt, „läuft unter projektive Identifikation“. Dann kredenzte sie mir eine superkomplizierte Erklärung und beschwerte sich im Anschluss über jene Kollegen, die sich ihren Patienten nicht verständlich machen können. Ich intervenierte paradox und sagte nur: „Tausend Neurosen, aber ich bin geistig blond. Du musst also sehr langsam sprechen.“

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