Kolumnen

Chaos de Luxe: Die Goldformel SHBEM

Polly Adler über Altersstrenge bei Freundschaften

Die Geschichte vom Koma-Jogger in Berlin hat mich lange nicht losgelassen. Ein Mittsechziger kippte beim Laufen um, er hatte nichts dabei, was auf seine Identität schließen ließ. Fotos des bewusstlosen Mannes wurden in den Zeitungen geschaltet und niemand meldete sich mit einem Hinweis. Verzauselung Hardcore. „Freunde sind Gottes Entschuldigung für Verwandte“, fand George B. Shaw. Und Freundschaften tatsächlich das Endprodukt langer Sondierungsverfahren, die im Laufe eines Lebens immer weniger dem Zufall überlassen werden. Denn im Frühling einer Biografie spülen einen die Ausbildungsstätten (Kindergarten, Schule) die Lebensabschnitts-Kumpels nahezu vor die Füße, danach werden die Entscheidungsprozesse über die Auswahl der Existenzbegleiter kreativer. Inzwischen haben sich bei mir drei Voraussetzungs-Kriterien verfestigt: Schmäh, Herzensbildung und ja, etwas versnobt, Bildung. Ooops, natürlich auch extrem wichtig: Empathie. Und, oh Gott, wie spießig, Manieren. Ich finde es wirklich grauenhaft, wenn Menschen Höflichkeit als anachronistischen Ballast abtun. Auf alle Fälle sollte jeder in meiner Lebensphase drei Nummern eingespeichert haben, die nicht verwandten Menschen gehören, die man nach einer Festnahme um vier Uhr morgens aus einer Polizeiwache in einem exotischen Land anrufen kann. Und die dann auch in die Gänge kommen.  Meine Freundin C sagt immer, wenn wir Spleen-Rezensionen der uns Nahen telefonisch betreiben: „Aber was willst du machen? Wir sind sowieso zu alt, um neue Freunde zu finden.“ Finde ich gar nicht. Gerade auf Grund der überschaubaren Lebenszeit muss man sein Zeitpensum wie ein mürrischer Kampf-Cerberus bewachen. Und es ausschließlich an jene verschwenden, die die Goldformel SHBEM besitzen. Ansonsten: „Belästigung durch sich selbst“, wie Werner Schneyder die Einsamkeit so treffend beschrieb. So hat man immer ein Rendezvous zu Silvester.

Xmas-Special mit der Polly-Truppe: 23.12., 11 & 15 Uhr im Wiener Rabenhoftheater

polly.adler@kurier.at
www.pollyadler.at