Barbara Kaufmann: Was man mitmacht
Von Barbara Kaufmann
Es stellt sich nicht immer die Frage, was man tut. Sondern was man zulässt, das getan wird. Wobei man zusieht, wozu man schweigt. „An allem Unfug, der passiert,“ schrieb Erich Kästner, „sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“
Was ich alles mitgemacht habe! ist eine Klage, die man häufig hört und doch steckt in ihr selbst schon das ganze Dilemma des Klagenden. Man hat sich darauf eingelassen, man war dabei, man hat eben mitgetan. Vielleicht wider besseren Wissens. Man hatte von Anfang an ein mulmiges Gefühl. Man hat es sich schön geredet. Man hat den Ausgang des Ganzen schon irgendwie vorausgeahnt und auch, dass es kein guter sein würde. Vielleicht hat man sich breitschlagen lassen. Man ist immer wieder gedrängt worden. Man wollte niemanden im Stich lassen. Man ist umschmeichelt und umworben worden und letztlich der eigenen Eitelkeit erlegen.
Vielleicht hatte man keine andere Wahl. Oder es kam irgendwann der Punkt, an dem man meinte, man hätte sie nicht. Weil man schon zu lange eingebunden gewesen ist, zu viel Lebenszeit investiert hat, zu viel Herzblut hineingeflossen ist. Weil man den Ausstieg mit Kapitulation gleichgesetzt hat. Weil man sich nicht eingestehen konnte, dass man sich geirrt hat. Und auch nicht wollte, dass alles umsonst gewesen sein sollte.
Vielleicht war es auch Gruppendynamik, die einen anfangs mitgerissen hat. Man hat nicht lange überlegt. Man wusste nicht genau, worauf man sich einlässt, mit wem man es zu tun haben würde, wie sich alles entwickeln würde. Man wollte nur dazugehören. Niemand bleibt gern allein zurück. Vielleicht ist man auch ein Opfer der eigenen Erziehung geworden. Hatte noch immer die Mahnungen der Eltern im Ohr. „Sei ein braves Mädchen, ein guter Junge und mach bloß keine Schwierigkeiten!“
Wer sich auflehnt, wer dagegen redet, wer sich lossagt, bedeutet immer Schwierigkeiten für die anderen. Denn wer widerspricht, der stört. Wer nicht mittut, der arbeitet dagegen. Wer sich den anderen entgegenstellt, der steht im Weg. Der wird zur Bedrohung, zum Risikofaktor und schließlich zur Gefahr. Selbst, wenn er nichts tut. Nur dasteht, sich weigert mitzugehen, nicht einstimmen will in den Chor der anderen, nicht wiederholen will, was ihm vorgesagt wird.
Weil er allein dadurch, durch sein Dagegenhalten, durch seinen Widerspruch zeigt, was man nicht immer sehen will. Dass Widerstand möglich ist. Dass man es aushalten kann, nicht mitzumachen.
Selbst, wenn man der Einzige ist. Die Tapferkeit von vielen ist immer dann am größten, wenn sie nicht auf die Probe gestellt wird. Und es sind meist nicht diejenigen, die ständig davon sprechen, was alles getan werden müsste, die sich dann wirklich widersetzen. Sondern oft genug die ruhigen, zähen Menschen, die genügend Courage aufbringen, um gegen stilles Unrecht lauthals anzureden. Es ist nicht einfach, gegen das aufzustehen, was andere als Lappalie abtun. Weil sie mittun, weil sie sich daran gewöhnt haben, obwohl es niemals wieder zur Gewohnheit werden darf. Aber es ist lohnenswert und es ist nie zu spät dafür, auszusteigen, nicht mehr mitzumachen, Rückgrat zu zeigen und aufrecht zu bleiben.