Jugendtheater „Glöckner von Notre Dame“: Auf Seiten der Außenseiter
Von Heinz Wagner
Willkommen in der Welt der Ausgegrenzten, der Unterwelt, der Hexen, Bettler … - damit beginnt die „Glöckner von Notre Dame“-Version des Theaters der Jugend im kleineren der beiden Spielstätten, dem Theater im Zentrum. Wir befinden uns zu Beginn in der Unterwelt, dort wo die Ausgestoßenen ihre Gegenwelt samt eigenem Gericht aufgebaut haben. Angeklagt der berühmte, buckelige und im Gesicht entstellte Glöckner namens Quasimodo. Er soll die schöne, betörende La Esmeralda, „Zigeunerin“, entführt haben. …
Von hier ausgehend wird jener Teil des Werks von Victor Hugo der am meisten bekannt, weil oft auf Bühnen und in Filmen umgesetzt, gespielt.
Vier Personen
Der berühmte Autor selbst schildert in seinem Roman vielschichtig das Leben in und um die Kathedrale sowie in Paris Ende des 15. Jahrhunderts, namentlich rund um den 6. Jänner 1482, an dem das 3-Königsfest und der Narrentag zusammenfallen. Meist bleibt die ungewöhnliche Zuneigung zwischen der schönen Exotischen und dem bis dahin nur Eingesperrten/sich selbst isolierenden „Krüppel“ übrig.
In der Theater-der-Jugend-Fassung von Jethro Compton (Deutsch von Birgit Kovacsevich), der auch Regie führte, ist Hugos Roman im Wesentlichen auf vier Personen verdichtet: Esmeralda, Quasimodo, den Notre-Dame-Dechant Frollo und den ranghohen Soldaten Phoebus.
Teilweise Umdeutungen
Um sich auf die Seite der unterdrückten, Ausgestoßenen zu stellen, werden teilweise Facetten aus dem Roman umgedeutet – so ist es hier nicht Esmeralda (Soffi Povo, die auch tänzerisch und gesanglich überzeugt), die sich in den Hauptmann (Valentin Späth) verliebt, sondern umgekehrt. Allerdings erlebt Esmeralda im Soldaten einen doch differenzierteren Charakter als sie in seiner Uniform vermutet, überwindet also ein Vorurteil.
Ironisch-sarkastisch nimmt sie gängige „Zigeuner“-Klischees – Handlesen, Ziegen usw. – aufs Korn und zeigt glaubhaft ihren Freigeist und die Freiheitsliebe – sowohl als sie Quasimodo von den folternden Peitschenhieben befreit und noch viel mehr als sie Frollos „Angebot“ sie vor dem Scheiterhaufen zu bewahren ablehnt. Sie lässt sich nicht auf den Deal ein, sein Besitz zu werden.
Zuneigung contra Besitztum
Und sie empfindet zu Quasimodo echte Zuneigung, findet trotz hässlichen Äußeren seine Seele „schön“. Etwas, das auch Frollo (Bernhard Majcen) sagt, aber deutlich spürbar nicht wirklich so meint. Er sieht in seinem Schützling - meisterhaft wie Frank Engelhardt in dieser verkrüppelten körperlichen Position den hässlichen Sympathieträger, der sich gegen seinen „Vater“ aufzulehnen beginnt, spielt – nur ein Objekt, das er besitzen und formen kann und will.
Hassprediger
Etwas, das er auch mit Esmeralda machen möchte, denn die angeblich für sie entflammenden Gefühle lässt er nicht einmal im Ansatz spüren. Auch hier geht’s nur um Macht und Besitztum. Als sie sich nicht auf den Handel mit Frollo einlässt, spielt er erstmals eine emotionale Karte aus, die des Hasses auf alle „Zigeuner“, ja des faktischen Aufrufs zur Verfolgung dieser Volksgruppe.
Selbst die scheinbare Rettung Esmeraldas durch Quasimodo, der sie über die Kirchenschwelle trägt und „Asyl!“ ruft, beeindruckt Frollo nicht. Ende mit Schrecken – das und auch die Peitschenhieb-Szene zeigt, dass die Altersangabe ab 11 Jahren doch eingehalten werden sollte.
Ober- = Unterwelt
Spannend – neben dem Einbau von Gebärdensprach-Elementen – Quasimodo wurde ja durch das Glockenläuten gehörlos, kann aber reden, wenngleich er sich dafür schämt, weil er sein Sprache ja auch nicht hört – ist die Bühne (Diana Zimmermann und Jethro Compton): Das angedeutete Innere des Kirchturms ist – nur bei anderem Licht (Fritz Gmoser) die Unterwelt!
Der Glöckner von Notre Dame
nach Victor Hugo
von Jethro Compton
Deutsch von Birgit Kovacsevich
Ab 11 Jahren; ca. 2 Stunden
Quasimodo: Frank Engelhardt
Esmeralda: Soffi Povo
Frollo: Bernhard Majcen
Captain Phoebus / Clopin: Valentin Späth
in weiteren Rollen: Ensemble
Regie: Jethro Compton
Bühne: Diana Zimmermann und Jethro Compton
Kostüme: Andrea Bernd
Komposition: Darren Clark
Licht: Fritz Gmoser
Dramaturgie: Sebastian von Lagiewski
Assistenz und Inspizienz: Simone Tomas
Hospitanz: Tamara Beck
Aufführungsrechte: Theater der Jugend, Wien
Wann & wo?
Bis 12. Dezember 2020
Theater im Zentrum: 1010 Wien, Liliengasse 3
Telefon: (01) 521 10-0
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Theaterworkshop zu „Der Glöckner von Notre Dame“
Die Theaterpädagogik des Theaters der Jugend bietet zu dieser Produktion eine Workshopreihe für 11- bis 14-Jährige an.
Start: 27. Oktober 2020
5 Termine inkl. Vorstellungsbesuch
Anmeldung per Mail an
lisa.brameshuber@tdj.at