Jetzt zwei Tage Gratis-Stream: Nibelungen in St. Pölten: Alle sind auch Siegfried
Von Heinz Wagner
Eine blonde Perücke - und aus Hagen, Gunter, Kriemhild sowie dem Sänger und Erzähler Volker wird der (fast) unverwundbare Held Siegfried. Das und die Sage als Roadtrip in und rund um ein Auto fallen als erstes ins Auge bei dieser Inszenierung „Die Nibelungen“ (nach Friedrich Hebbel, Regie: Mathias Spaan) des Landestheaters Niederösterreich. Es handelt sich um die jährliche Jugendproduktion, die in der – ebenfalls in St. Pölten liegenden – Bühne im Hof gastiert (bis 5. März fast ein Dutzend Vorstellungen, ein Gastspiel in Baden am 22. April).
Die auf 75-Minuten verdichtete Handlung war vielen bei jener Schulvorstellung, die der Kinder-KURIER besuchte, bekannt. Was, wie einige meinten, auch gut war. Ist doch selbst der Kern des Kampfes um Macht samt Intrigen und Betrug schon verwirrend genug.Die Inszenierung beginnt am Ende eines wichtigen Abschnitts: Siegfried ist tot – ermordet vom hinterlistigen Hagen, der Kriemhild die einzig verwundbare Stelle ihres Ehemanns entlockt. Er, Gunter und Volker werfen die Leiche in den Kofferraum des Autos. Doch er redet nun – weil ab jetzt die Geschichte von Anfang an erzählt wird. Genau diese Szene wird fast ident wenige Minuten vor Ende wiederholt – mit einer Kürzest-Erzählung der weiteren Ereignisse mit dem Hinmetzeln aller Beteiligten.
Sparen UND Perspektivenwechsel
Dass Bettina Kerl (Hagen), Gunter (Philip Leonhard Kelz), Kriemhild (Laura Laufenberg) und Valentin Postlmayr (Volker bzw. Brunhild – auch nur eine, aber andere Perücke) abwechselnd in die Rolle Siegfrieds schlüpfen hat mehrere Gründe. Das sagen die vier SchauspielerInnen im Publikumsgespräche mit den Jugendlichen. Die banalere, aus der Finanzsituation geborene: So wird ein Schauspieler gespart. Die „schönere“, wie sie es formulieren und von der Regie bewusst eingesetzt wurde: Es geht nicht nur um die Nibelungen-Sage als solches, sondern ums Erzählen aus verschiedenen Blickwinkeln. Das bringt vor allem Valentin Postlmayr als Volker, der Erzähler und Sänger mit immer wieder selbstironischen Jugendsprache-Anwandlungen mit dem Spruch „Alter, ich hab das so anders in Erinnerung“ auf den Punkt.
Leider blasse Frauenfiguren
Schön, das mit dem (An-)Spruch des Perspektivenwechsels. Noch schöner, wenn er mehr und stärker zu erleben wäre. Gut auch, dass der in den meisten Versionen groß, stark und sehr finster dargestellte Hagen hier gegen das Klischee eher zart besetzt ist. Ein wenig irritierend wirkt die zentrale Rolle des Autos doch – wie kommen die vier damit nach Island, einer Insel? Und Auto als DAS Zentrum, um das sich Leben junger Leute dreht, ist gerade dabei diese heroische Rolle zu verlieren.
Vielleicht ausgehend von dieser zentralen Stellung des Vehikels wirkt der Roadtrip klischeehaft stark männlich dominiert, die Frauenrollen verblassen bzw. bleiben in gängigen Schubladen stecken – hie die sorgende Ehefrau Kriemhild, dort das „Mannweib“ statt einfach einer sehr starken, selbstbewussten Brunhild beispielsweise.
Niederösterreichisch?
„Es gibt Theorien, dass der oder die Autoren Niederösterreicher waren. Stimmt das?“, fragte die Dramaturgin dieser Nibelungen-Version des Landestheaters NÖ den Germanisten Stephan Müller, der an der Uni Wien über mittelalterliche Literatur und damit das „Lied“ forscht in der Materialmappe des Landestheaters für Schulen.
Der Forscher meint dazu: „Diese Mutmaßungen kommen daher, dass im Text viele Details zu finden sind, die zeigen, dass sich der Schreiber im oberösterreichischen und niederösterreichischen Donauraum sehr gut auskennt. Im hinteren Teil der Geschichte reisen Kriemhild und später Gunther und seine Mannen die Donau hinunter durch Ober- und Niederösterreich zu König Etzel. Pöchlarn spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle. Hier wirbt Rüdiger von Bechelaren um Kriemhilds Hand für Etzel und man merkt, dass der Schreiber große Sympathien für Pöchlarn hat und Melk kennt. Aber auch Mautern, Traismauer, Tulln, Wien und andere Orte werden benannt. Wahrscheinlich ist das Nibelungenlied in Passau entstanden. Dann hätte es der damalige Bischof Wolfger von Erlau finanziert, der als Mäzen bekannt ist. Das Bistum Passau reichte über Oberösterreich und Niederösterreich bis hinter Wien.“
Die Nibelungen
nach Friedrich Hebbel
ab 12 J., 75 Minuten
Landestheater NÖ, Gastspiel in der Bühne im Hof
Inszenierung Mathias Spaan
Es spielen
Siegfried: Alle
Hagen: Bettina Kerl
Gunther: Philip Leonhard Kelz
Kriemhild: Laura Laufenberg
Brunhild/Volker: Valentin Postlmayr
Bühne/Kostüm: Anna Armann
Wann & wo?
Ab 27. August 2020, 19.30 Uhr
für 48 Stunden das Video
gratis zum Anschauen - Link hier unten
landestheater.net -> Die Nibelungen
Überblick über die Sage samt grafischer Darstellung der Personen
Wikipedia -> Nibelungensage