Wissen/Gesundheit

Krebs-Chirurg Jakesz: „Es ist auch der Glaube, der heilt“

Seit 40 Jahren arbeitet er als Chirurg – Univ.-Prof. Raimund Jakesz gilt als anerkannter Experte in der Behandlung von Brustkrebs, und hat an die 9000 Frauen operiert. Sein Zugang zum Leid sein Patientinnen ist aber ungewöhnlich. Seit vielen Jahren begleitet Jakesz Krebskranke ganzheitlich und spirituell im Sinne eines Erkenntnisgewinns: Was hat einen Menschen zu dem gemacht, was er heute ist? Was hat ihn in seine Krankheit geführt? Darüber hat er nun ein Buch geschrieben: „Das spirituelle Momentum“ (Verlag Bacopa). Ein Gespräch über Medizin und Spiritualität sowie die tiefere Bedeutung des Weihnachtsfests.

KURIER: Wie kommt ein Chirurg zum spirituellen Momentum und dazu, eine Erkrankung nicht nur als körperliches Geschehen zu verstehen?

Univ.-Prof. Raimund Jakesz: Für mich war das Operieren bald nicht mehr ausreichend. Ich habe fast ausschließlich Patientinnen mit Brustkrebs operiert, und diese Frauen in ihrer Not gesehen. Diese Not konnte die Operation allein nicht stillen, obwohl ich zu einem hohen Prozentsatz brusterhaltend operiert habe. Ich konnte die Frauen in ihrer Verletzung spüren und entwickelte für sie starkes Mitgefühl. Im Laufe der Zeit habe ich mehr und mehr gelernt, dass es viele verschiedene Faktoren gibt, die mit einer solchen Erkrankung verbunden sind. Diese Faktoren sind auf der Ebene des Herzens zu finden, auf der rein emotionalen Ebene. Die Schulmedizin allein – so richtig, wichtig und so gut sie ist – kann oft keine völlige Heilung erreichen. Manches kann man chirurgisch nicht behandeln.

Konnten Sie bestimmte Muster bei den erkrankten Frauen erkennen?

Es sind immer mehrere Themen, aber in erster Linie geht es um Selbstwert, Selbstachtung und Selbstliebe. Oder, auf der anderen Seite, um Enttäuschung, Trauer, Angst, Sorge, Lebenskraft. Die Energie folgt unserer Aufmerksamkeit, heißt: Wo ich meine Aufmerksamkeit hinlenke, dort ist meine Energie. Wenn ich die Aufmerksamkeit immer auf andere lenke, immer nur funktioniere, nie ein Wort des Dankes oder der Anerkennung finde, hart zu mir bin, nie mild oder gütig, dann ist das schwierig. Am Ende ist es aber sehr individuell, man sollte das nicht pauschalieren. Mir ist wichtig, mich mit so einem Menschen individuell auseinanderzusetzen. Im Sinne eines spirituellen Erfahrens, das aber im Kontext und in Zusammenarbeit mit einer funktionierenden Schulmedizin. Völlige Heilung ist in diesen Fällen ohne Schulmedizin fast nicht möglich.

In der evidenzbasierten Medizin zählen Fakten. Studien, die sogenannte Energie nachweisen können, gibt es nicht. Wie argumentieren Sie das als Schulmediziner?

Ich habe selbst viele Studien gemacht und mir war das Messbare immer sehr wichtig – aber eben dort, wo es Messbares gibt. Eine Maßeinheit für Spiritualität existiert genauso wenig wie für Würde, Liebe, Frieden, Freude oder Demut. In der Schulmedizin herrschen andere Gesetze, das ist okay, das ist so. Medikamente haben ihren Stellenwert. Wer eine Lungenentzündung hat, sollte ein Antibiotikum nehmen. Gleichzeitig könnte man sich aber auch fragen, was mich für diese Erkrankung anfällig gemacht hat – vorausgesetzt, man möchte das. Einer macht es so, der andere so.

Läuft man da nicht Gefahr, dass Patienten die Schuld für ihr Leiden umgehängt wird?

Für mich gibt es keine Schuld, keine Sühne oder Rache. Auch keine Sünde. Kein richtig, kein falsch. Es geht darum, sich bewusst zu machen, dass uns irgendetwas die Lebenskraft, Lebensfreude, den Selbstwert, die Liebe zu uns und den anderen genommen hat. Prof. Erwin Ringel hat gesagt: „Was kränkt, macht krank.“ Das stimmt nach wie vor. Es entsteht nichts ohne Ursache. Die Gründe für eine Krankheit sind oft leicht zu erfassen, manchmal ist es aber ein langer Weg, zu verstehen, worum es geht.

Was bedeutet Glaube für Sie?

Für mich ist Glaube der Glaube an ein höheres Wesen. Ich glaube an die Schöpfung, an Gott und fühle mich auf eine spezielle Weise verbunden. Nicht unbedingt konfessionell. Es ist auch der Glaube, der heilt. Deshalb ist der Glaube im Sinne eines Placeboeffekts so wichtig.

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Krise als Chance?

Krise als Chance ist erst der zweite Schritt, viele spüren lange vorher, dass etwas schief läuft. In dieser Phase könnte man viel tun, doch viele geben dem keinen Raum und keine Bedeutung. Wir warten so lange, bis die Katastrophe in Form einer physischen Erkrankung eintritt. Dann sind wir gezwungen, uns mit dem Thema Selbstheilung auseinanderzusetzen. Das ist der Moment der Chance, im Sinne eines „So mache ich nicht mehr weiter“.

Ist es tatsächlich möglich, durch diese Form von Bewusstwerdung organische Prozesse rückgängig zu machen?

Der Mensch ist außerordentlich regenerationsfähig. Aber man muss das schon sehr ordentlich machen, es hat schließlich lange gedauert, bis der Körper reagiert hat. Dennoch sollen keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Es ist ein Angebot für Menschen, die offen sind und etwas für sich tun möchten, um den Sinn in ihrem Leben zu erkennen oder eben den Sinn dessen, was ihnen widerfährt. Da steckt sehr viel Information drin. Krankheit ist Information.

Meditieren Sie?

Ja. Wie oft, ist abhängig davon, was ich gerade mache. Wenn ich ein Seminar halte, meditiere ich vier Stunden täglich mit den Patienten. Sonst versuche ich, meditativ zu leben. Wenn ich spüre, dass ich etwas erlebt habe, das mich verunsichert oder an Grenzen geführt hat, muss ich eine Stunde meditieren oder zwei. Dann geht es wieder.

Das heißt: Sie regen sich über blöde Autofahrer nicht mehr auf?

Naja. Wenn ich sehr in Eile bin und einen Termin habe, dann gelingt es mir manchmal nicht, mich zu beherrschen. Üblicherweise schaue ich mir das aber an und bleibe gelassen. Sonst könnte ich ja nicht existieren. Das habe ich auch beim Operieren gelernt, da ist man am schnellsten und besten, wenn man vollkommen in seiner Ruhe ist.

Was bedeutet Weihnachten für Sie, aus spiritueller Sicht?

Für mich ist Weihnachten das Fest des Lichtes, denn mit dem 21. Dezember ist die Dunkelheit überwunden. Das Licht hat gewonnen. Licht und der Weg zur Erleuchtung sind die zentralen Elemente meines Lebens. Ich bin all dem sehr verbunden und ziehe mich da auch ganz bewusst zurück, um Weihnachten in Frieden und Ruhe zu leben.

Keine Geschenke?

Klar muss ich auch Weihnachtsgeschenke einpacken. Doch sonst geht es bei diesem Fest um das Singen und Beten. Beten zu dem, woran man glaubt. In die Stille gehen, in die Ruhe, mit seinen Lieben beisammen sein, Musik hören und hinaus in die Natur. Das ist Weihnachten für mich.

Zur Person

Univ.-Prof. Raimund Jakesz wurde am 22. Februar 1950 geboren. Er leitete die   Abteilung für Allgemeinchirurgie des AKH Wien, dort ist er seit dem Jahr 2016 pensioniert. Neben seiner Stellung als Universitätsprofessor der Medizinischen Universität  galt sein  Augenmerk einem ganzheitlichen Therapieansatz, in dem die Betroffenen selbst bei ihrem Weg der Heilung eine  zentrale Rolle spielen. Jakesz veranstaltet Seminare, und hat mehrere Bücher sowie mehr als 300 wissenschaftliche Arbeiten in Peer Review Journals publiziert. www.jakesz.com