Kopfschmerzen: Ärzte warnen vor schlechter Versorgung von Patienten
Wiederkehrende starke Kopfschmerzen schränken die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit vieler Menschen erheblich ein. "Trotz der drastischen Folgen für Betroffene wie Gesellschaft wird diesem Problem noch immer zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das möchten wir ändern", sagt Karin Zebenholzer, Präsidentin der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft (ÖKSG) und Oberärztin an der Wiener Universitätsklinik für Neurologie. Am 12. September ist der Europäische Kopfschmerz- und Migränetag. Aus diesem Anlass weisen Österreichische Kopfschmerzgesellschaft und die Österreichische Gesellschaft für Neurologie auf die Bedeutung von akkurater Diagnostik und effektiver Therapie hin und zeigen Defizite in der Versorgung auf. "Seltene Kopfschmerzformen bleiben oft viel zu lange unerkannt und werden von der Forschung stiefmütterlich behandelt. Unsere Ziele: Mehr Aufklärung und schnellere und bessere Hilfe für Betroffene", sagt Zebenholzer.
Eugen Trinka, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) und Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie an der Christian Doppler Universitätsklinik Salzburg, kritisiert anlässlich des Europäischen Kopfschmerz- und Migränetags die mangelhaften Versorgungsstrukturen: "Einer WHO-Studie zufolge sind Spannungskopfschmerz und Migräne die weltweit zweit- bzw. dritthäufigsten Erkrankungen überhaupt – doch diesem Umstand wird in Österreich zu wenig Rechnung getragen."
Er fordert ein abgestuftes und koordiniert funktionierendes Versorgungskonzept, das von Hausärzten als zumeist erste Ansprechpartner über niedergelassene Neurologen bis hin zu einer ausreichenden Zahl spezialisierter Zentren reicht. "Wir brauchen deutlich mehr Spezialeinrichtungen." Die ÖGN versucht auch, innerhalb der Ärzteschaft mehr Bewusstsein zu schaffen und engagiere sich für Aufklärung und Weiterbildung. "Eine Erhebung in acht österreichischen Kopfschmerzzentren hat gezeigt, dass viele Patienten vor der Überweisung in ein spezialisiertes Zentrum keine ausreichende Therapie erhalten haben. Triptane als spezifische Mittel zur Akuttherapie wurden nicht mehr als sechs Prozent der Erwachsenen mit Migräne verordnet", betont Trinka.
Seltenere Formen
Wer an einer selteneren Kopfschmerzform leidet, hat es besonders schwer, rasch an eine richtige Diagnose und adäquate Therapie zu kommen. Der häufigste Vertreter dieser Kopfschmerzart ist der Clusterkopfschmerz. Wer davon geplagt ist, erhält oft erst nach jahrelanger Odyssee Hilfe, denn die Krankheit ist allgemein wenig bekannt und die Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung liegt je nach Schätzung bei nur 0,1 bis 0,4 Prozent. Clusterkopfschmerzen sind aber vermutlich die heftigsten Kopfschmerzen, die es gibt.
Die Attacken mit bohrenden, stechenden Schmerzen treten einseitig auf, dauern bis zu drei Stunden und gehen mit mindestens einem Begleitsymptom einher, etwa tränendem Auge, hängendem Lid, verstopfter Nase, verengter Pupille oder Ruhelosigkeit. Die Bezeichnung "Cluster" bezieht sich auf die Form des Auftretens, denn eine Attacke erfolgt nie allein, sondern immer in Gruppierungen (engl. "cluster"). Die Betroffenen leiden über einen Zeitraum von mehreren Wochen mehrfach unter Schmerzen, täglich oder jeden zweiten Tag, und verzeichnen an den Schmerztagen zwischen einer und fünf Attacken. "Nach diesen vehementen Schmerzen sind die meisten dann wieder über Monate bis Jahre beschwerdefrei“, erklärt Prof. Zebenholzer.
Was gegen diese Schmerzen hilft
Patienten mit Verdacht auf Clusterkopfschmerz sollten auf jeden Fall zum neurologischen Facharzt gehen, um beispielsweise eine Migräne ausschließen, denn die Therapie unterscheidet sich je nach Kopfschmerzart. Obligat sind eine MRT-Untersuchung und eine organische Abklärung, um alle anderen Ursachen auszuschließen, auch Auffälligkeiten des Gehirns. Ist die Diagnose korrekt gestellt, lassen sich nicht-chronische Clusterkopfschmerzen einfach und gut behandeln. "Zur Verkürzung der Attacken selbst können die Betroffenen Sauerstoff inhalieren, darauf sprechen 78 Prozent der Patientinnen und Patienten an“, berichtet Prof. Zebenholzer. Eine Alternative: Betroffene können sich bei Bedarf den Wirkstoff Sumatriptan mit einem Autoinjektor (Pen) oder den Wirkstoff Zolmitriptan nasal verabreichen. Mit allen genannten Methoden sind die Patientinnen und Patienten in der Regel binnen 15 bis 30 Minuten schmerzfrei. Um den Cluster-Zeitraum insgesamt zu verkürzen, also etwa von acht auf vier Wochen, hilft eine so genannte Kurzzeitprophylaxe mit Kortison oder mit dem Kalziumantagonisten Isoptin als erste Wahl. "Was gar nichts hilft gegen Clusterkopfschmerzen, sind aufwändige Zahnsanierungen oder Eingriffe bei Kiefer oder Nasennebenhöhlen“, warnt die Expertin.
Internationale Vernetzung notwendig
Rund zehn Prozent der Clusterkopfschmerzpatienten leiden an einer chronischen, schwer behandelbaren Form, bei der zwischen den Attacken nie länger als drei Monate Schmerzfreiheit besteht. Hier ist Isoptin eine Behandlungsoption. Je nach Einzelfall kann dieser Wirkstoff auch mit Lithium oder Topiramat kombiniert werden, was jedoch häufig mit Nebenwirkungen verbunden ist. Prof.in Zebenholzer: "Für chronische Clusterkopfschmerzen wäre die Entwicklung neuer Therapieformen sehr wünschenswert. Insgesamt ist die Pathophysiologie des Clusterkopfschmerzes wesentlich schlechter untersucht als etwa die der Migräne. Es gibt größere Wissenslücken, was sich auch negativ auf die Therapiemöglichkeiten niederschlägt. Durch die geringe Zahl an Betroffenen ist die akademische Forschung leider ins Hintertreffen geraten."
"Wie bei allen seltenen Erkrankungen führt kein Weg um internationale Vernetzung herum, wie sie derzeit auf EU-Ebene mit den Europäischen Referenznetzwerken passiert“, so ÖGN-Präsident Prof. Dr. Trinka. "Mithilfe dieser Plattform können sich Fachzentren und Sachverständige zusammentun und austauschen, um auch bei Kopfschmerzformen mit geringer Fallzahl die bestmögliche Diagnostik und Therapie nach dem neuesten Wissenstand zu finden und gemeinsam die Forschung voranzutreiben." Die Europäischen Referenznetzwerke (ERN) sind eine Initiative von Gesundheitsdienstleistern in ganz Europa mit dem Ziel, Wissen über seltene Erkrankungen zu bündeln.