KURIER-Serie startet: Einem Land gehen seine Ärzte aus
Von Josef Gebhard
Noch herrscht die Ruhe vor dem Sturm: Die Grippe trat bisher in diesem Winter in Österreich erst sporadisch auf. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die heurige Influenza-Welle ausbricht und einmal mehr die Spitalsambulanzen und Hausarzt-Ordinationen an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringt. Und das in einem der wohlhabendsten Ländern der Welt.
Dabei sollte eigentlich alles eitel Wonne sein, wenn man der Statistik glaubt: Laut Daten der OECD verfügt europaweit nur Griechenland pro Kopf über mehr Ärzte als Österreich. Seit Jahren streiten Ärztevertreter und Ökonomen über die Aussagekraft dieser Zahlen.
Dass es jenseits aller trockenen Statistiken grobe Lücken in der medizinischen Versorgung gibt, weiß aber jeder, der einen Arzt benötigt. Stundenlanges Ausharren mit fiebernden Kindern in Spitalsambulanzen, monatelanges Warten auf einen OP-Termin für die neue Hüfte, Landgemeinden, die keinen Kassenarzt mehr finden, Mediziner, die auf die 80 zugehen und mangels Nachfolger trotzdem nicht in Pension gehen können – all das sind Symptome dafür, dass das Gesundheitssystem aus dem Ruder läuft.
Ob in kleinen Landgemeinden oder in der Bundeshauptstadt: Immer häufiger kommt es vor, dass sich für vakante Kassen-Ordinationen erst nach Monaten ein oder überhaupt kein Nachfolger findet.
Beispiel Wien: Gab es vor zehn Jahren noch 810 Hausärzte mit Kassenvertrag, waren es zuletzt nur noch 732. Im selben Zeitraum hat die Wiener Bevölkerung aber von 1,67 Millionen auf mittlerweile 1,87 Millionen zugelegt, warnt Kammer-Präsident Thomas Szekeres.
Zwei-Klassen-Medizin
Gleichzeitig wird die Zahl der Wahlärzte immer größer, die frei von Wartezeiten und Zeitdruck ihre Patienten betreuen können. Sie verstärken allerdings den Trend zur Zweiklassenmedizin, denn nicht alle ihrer Angebote werden von den Krankenkassen honoriert. Das bedeutet: Nicht alle Patienten können sich eine solche Form der Versorgung leisten.
„Die Engpässe sind mittlerweile fühlbar. Die Politik, Gesundheitsökonomen und Kassenfunktionäre leugnen das Problem aber weiterhin“, kritisiert Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer. Er präsentierte erst vor Kurzem Daten, die belegen, dass sich die Situation in den kommenden Jahren noch dramatisch verschärfen wird.
Schuld daran ist die bevorstehende Pensionierungswelle, die von Jungärzten nicht annähernd kompensiert werden kann. So werden von den derzeit 7099 Ärzten mit GKK-Vertrag in den nächsten zehn nicht weniger als 55 Prozent Jahren das Pensionsalter erreichen, rechnet Steinhart vor.
In einzelnen Fächern ist die Lage sogar noch angespannter: Von den heute praktizierenden 394 Frauenärzten werden sich 65 Prozent im kommenden Jahrzehnt in den Ruhestand verabschieden. Bei den Orthopäden, Internisten und Urologen ist die Situation ähnlich trist.
Abwanderung
Gleichzeitig rücken viel zu wenige Jungärzte nach. Jedes Jahr absolvieren rund 1200 Studenten die heimischen Medizin-Unis. Das würde an sich reichen, um den Bedarf in Österreich zu decken. Allerdings verlassen mittlerweile rund 38 Prozent das heimische Gesundheitssystem. Weil sie in andere Berufsfelder oder ins Ausland wechseln, wo bessere Ausbildungsmöglichkeiten, Entlohnung und Arbeitsbedingungen auf sie warten.
„Wir leisten uns hier einen unglaublichen Luxus, diese Absolventen ziehen zu lassen“, sagt Ärztekammer-Vizepräsident Harald Mayer. „Denn die Ausbildung eines einzelnen Medizinstudenten kostet rund eine halbe Million Euro“, sagt der Funktionär.