Was Eckart Witzigmann in seiner Karriere bereut
Von Ingrid Teufl
KURIER: Herr Witzigmann, Sie sind 75, denken Sie manchmal auch ans Aufhören?
Eckhart Witzigmann: Nein. Man muss immer neugierig bleiben. Es ist immer wieder faszinierend – neuen Techniken, Geschmacksnuancen, natürlich auch die Präsentation am Teller und Trends.
Es gibt Leute, die können Stress besser verarbeiten als andere. Burn-out ist für mich kein Thema. Schade, wenn gute Leute Probleme haben. Die Arbeit soll Spaß machen. Natürlich braucht man Backen, die Erwartungshaltung ist da. Je bekannter man wird, desto mehr Druck ist da. Und manche geben diesen an die Mannschaft weiter. Manche sind rücksichtsloser, andere sind sensibel. Das ist immer eine Charaktersache. Hier im Ikarus ist auch Druck, aber es ist gut. Aber auch eine Herausforderung durch die monatlichen Köche-Wechsel. Das ist für jeden eine neuer Anfang. Für mich ist es ein stetiges Lernen.
Mir tut leid, dass Deutschland und Österreich in der Presse zu wenig wahrgenommen werden, eher im Ausland findet man noch Respekt und Anerkennung. In Dänemark und Skandinavien standen Politik, Tourismusverband, Sponsoring und mediale Begleitung dahinter. Man soll sich aber auch nicht beeinflussen lassen. Andreas Döllerer hat das mit seiner Alpinküche bewiesen, die landestypisch und authentisch ist. Die Obauers haben das auch schon gezeigt oder auch Jörg Wörther.
Aber das ist neuer Wein in alten Schläuchen und manche glauben, sie haben damit die lange Pfeife erfunden. Wie ich in den 1970er-Jahren im Tantris angefangen habe, haben wir nicht nur diese neuzeitliche Nouvelle Cuisine gemacht, sondern auch an die regionale Küche aus Österreich angelehnt. Meine Mutter hat für uns Kinder immer Wipfelhonig gemacht, den bekamen wir, wenn wir verkühlt waren. Anfang der 70er habe ich mir dann gedacht, Mensch, da könntest doch ein Eis damit machen.
Das Gastgewerbe ist bei der Jugend nicht beliebt. Gibt es heutzutage noch gute Leute?
Dem Lehrling muss bewusst sein, was in diesem Beruf auf ihn zukommt. Es ist ein wunderschöner Beruf, aber er muss ein Talent haben, er darf nicht zu sensibel sein. Es ist natürlich eine Umstellung, an Wochenenden und Feiertagen zu arbeiten. Dann muss man den Jungen die Arbeit interessant gestalten, auch pädagogisch geschult sein. Die Abbruchzahlen sind nicht nur im Küchenbereich, sondern auch im Servicebereich erschreckend. Es ist sicherlich ein harter Weg, bis man zur Spitze kommt.
Was braucht man dafür?
Auslandserfahrungen sammeln. Ich bin sehr froh, dass mein Lehrchef mich sofort ins Ausland weiterempfohlen hat: Den Haeberlin im "L’Auberge de l’Ill" habe ich beim Skifahren kennengelernt, als ich in Davos gearbeitet habe. Das war sozusagen das Trampolin.
Warum gibt es so wenige Frauen an der Spitze?
Weniger erlernen Frauen den Beruf, und von 100 Köchen werden vielleicht zehn bekannt. Aber ich stelle immer klar, eine Frau kann genauso kreativ und belastbar sein. Es sind immer mehr Frauen in den Küchen zu finden. In den Wirtshäusern haben früher auch immer die Frauen gekocht. Der Beruf hat mittlerweile das Image, das er verdient. Schauen Sie nur ins Fernsehen.
Ich werde nie zufrieden sein. Im Tantris habe ich den Urknall ausgelöst. Es geht nicht um die Sterne, in der Breite soll es ankommen. Ich habe immer eine Dependance wollen, hatte auch Angebote, in den USA ein Restaurant aufzumachen, das hab ich nicht gemacht. Ein Bistro wollte ich machen, hatte schon den Namen. Den sag ich Ihnen jetzt aber nicht, vielleicht mach ich es ja doch noch (lacht). Aus Respekt, um den dritten Stern nicht zu verlieren, hab ich das nicht gemacht. Das bereue ich.
Gibt es ein Ess-Erlebnis, das Sie nie vergessen haben?
Ja, im "L’Auberge de l’Ill", 1963. Damals war es ein Zwei-Sterne-Restaurant, ich wollte mir das mit einem Freund anschauen. Das war Gänseleber im Brioche, der berühmte Saumon Soufflé (Lachssoufflé), es war ein Entrecôte. Und Pommes frittes, aber hausgemacht. Und da war der berühmte Pêche Haeberlin mit Champagnersabayon und Pistazieneis.
Es war einfach die Herzlichkeit. Normalerweise hat man sich brieflich beworben.
Monsieur Paul Haeberlin ist ja mein großer Mentor geworden. Am 15. Februar 1964 durfte ich anfangen. Das war ein tolles Erlebnis. Da habe ich das gesehen, was ich immer gesucht habe. Die Großzügigkeit, die Hummer, die Langusten, die Trüffel, die Rebhühner, die Wildhühner, das Lamm. Die mochten mich ganz gern und haben mein Talent erkannt und mich dann weltweit vermittelt, nach Stockholm, zu Paul Bocuse, nach London, Brüssel, Washington – und auch ins Tantris. Der Besitzer war bei Haebelin, ob sie jemand wüssten – ja, der ist aber gerade in Amerika. Dann habe ich lange überlegt und mich entschlossen. Take the chance.
Es brodelt, es zischt, Töpfe klappern, immer wieder übertönt von einem vielstimmigen "Jawohl!". Dann hat Küchenchef Martin Klein wieder eine Bestellung angenommen und lautstark an seine Mannschaft im "Ikarus" weitergereicht. Es sind viele Gäste an diesem Abend, und er hat ungewöhnliche Unterstützung. Weil Patron Eckart Witzigmann am heutigen 4. Juli seinen 75. Geburtstag feiert, sind am Wochenende ehemalige Schüler und Wegbegleiter nach Salzburg gekommen, um zu gratulieren.
Was sonst sollte man dem "Jahrhundertkoch" schenken als eben außergewöhnliche Gaumenfreuden? Elf Michelin-Sterne haben die sechs Gastköche zusammen, und bei ihrem Geburtstagsmenü, wird deutlich, warum.
Bretonische Hummer mit Kokos und Yuzu
Witzigmann freut sich über die kulinarischen Geburtstagsständchen. Lugt in Töpfe, plaudert mit den Kollegen, die gerade nichts vorbereiten. Manches habe sich mit der Zeit verändert, sinniert er. "Früher hieß Sterneküche Hummer, Jakobsmuschel und Ähnliches, heute sind auch einfache regionale Gerichte gefragt."
Gebratenen Steinbutt in Salzteig
"Kochen in anderen Küchen, das machen wir ja öfter. Diesmal war die Zeitabstimmung das größte Problem. Alle haben volle Häuser", sagt Witzigmann. Hans Haas feierte überdies seine Silberne Hochzeit. "Der wäre sicher lieber woanders." Wenn "ihr" Gericht dran ist, wirkt aber keiner so, als ob er Besseres zu tun hätte. Dann wird hochkonzentriert gearbeitet, platziert, dekoriert, immer gemeinsam mit der Ikarus-Mannschaft. Marc Haeberlin neckt Hauser, als dieser seinen Hummer aufträgt. "Na, dieses Mal ist er ihm gelungen, bei der Probe nicht."