Leben

Zukunftsserie: Die Seele geht online

Alle Kollegen sind freundlich. Ständig motiviert. Gute Laune ist hier Pflicht. Wer grantig ist, fliegt. Jeder ist immer gesund und glücklich, hip und fit. WIR SCHAFFEN DAS wird bedrohend auf alle Gänge und Wände projiziert – als Warnung vor dem Versagen. Es gibt ein 24-Stunden-Gratis-Buffet mit Sterne-Köchen und Live-Auftritten von Pop-Heroen, den Golfplatz, Hängegleiter zum Ausleihen. Fast jeden Abend coole Partys. Events ohne Ende sollen zusammenschweißen: Glamouröse Gehirnwäsche auf höchstem Niveau, das System will ja nur dein Bestes, gemeinsam wird die Welt gerettet … Man arbeitet und lebt rund um die Uhr zusammen.

Willkommen im „Circle“. Einem Roman des US-Kultautors Dave Eggers (Foto), der satirisch die mögliche Arbeitswelt von morgen präsentiert. Die Angst vor der totalen Überwachung als beklemmender Bestseller. Es ist das Buch der Stunde, hat weltweit Aufsehen erregt, wird in Amerika und nach der Übersetzung auch vom deutschen Feuilleton (FAZ: Ein brandaktueller Roman … wunderbar) hochgejubelt. Wochenlang ist „Der Circle“ die Nr. 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste.

Arbeiten und Leben, der Aufbau von Beziehungen und Freundschaften, sind nur mehr hier, innerhalb des inneren Kreises der Firma, möglich. Alles erinnert beklemmend an Scientology. Der Circle, dieser totalitäre Superkonzern, ist eine literarisch verbrämte Apple-, Google,- oder Facebook-Zentrale. Sehr ähnlich dem zukünftigen Apple-Hauptquartier, das gerade in Cupertino, im Silicon Valley, gebaut wird. Ein strahlender Mega-Koloss für 3.000 Mitarbeiter, aus Stahl und Glas, rund wie ein Stadion. Der Circle basiert auf drei Grundsätzen: Teilen ist Heilen / Geheimnisse sind Lügen / Privatsphäre ist Diebstahl. Jeder, der hier zu arbeiten beginnt, wird sofort mit dem Social-Media-Konzept TruYou vernetzt: Ein Konto, ein Passwort, eine Identität, ein Zahlungssystem – alles einheitlich.

Endlich Schluss mit einer eigenen Identität. Ein einziger Button für den Rest deines Online-Lebens. Der letzte Winkel deiner Seele ist gepostet – bis du selbst zum Produkt geworden bist. Sobald du dazugehörst, bekommst du eine kleine Kamera um den Hals gehängt. Du bist für alle omnipräsent, total überwacht, in der Circle-Cloud zu beobachten. Sogar beim Sex. Mae, 24, die Romanheldin, ist ihrer biederen, kleinstädtischen Existenz überdrüssig. Sie will das Leben spüren. Ihre Freundin Annie zeigt’s ihr. Und vermittelt ihr einen Traumjob im Circle. Voller Begeisterung stürzt sich Mae in die schöne, neue, lichtdurchflutete Welt. Doch bald wird auch bei ihr aus Freiwilligkeit Zwang. Konformität und Despotismus als Ausdruck der Circle-Macht, auf Schritt und Tritt. Die Privatsphäre geht komplett verloren. Die letzten Außenseiter, die sich diesem Terror widersetzen, brechen zusammen oder kommen ums Leben.

Werden diese Schreckens-Szenarien Wirklichkeit? Ist das unsere Arbeitswelt von morgen? Der monopolisierte, digitale Fortschritt wird jedenfalls bald alles beherrschen: „Ericsson“ prophezeit, dass es bereits in fünf Jahren 9,3 Milliarden Mobiltelefone geben wird. Da sich Kinder online schneller als offline entwickeln, sollten Eltern mit ihnen – noch bevor sie über Sex sprechen – über die Privatsphäre sprechen. Die digitale Revolution ermöglicht schon längst das Arbeiten außerhalb der Bürozeiten und -gebäude. Arbeitsverhältnisse werden immer kürzer und lockerer. Heute wird noch manchmal gelobt, wer seiner Firma ein Leben lang treu bleibt, morgen ist man begehrt, wenn man sich in mehreren Jobs qualifiziert hat. Teamorientierte Projektarbeit wird immer wichtiger, klassische Hierarchien werden immer nebensächlicher, in Zukunft ist jener der Chef, der gerade ein Projekt betreut. Wer seine Ideen in Szene setzen kann, wird gewinnen. Im Circle, in der Crowd von morgen, sind Selbstdarsteller, die sich souverän geben, die Sieger. Der Wirtschaftswissenschaftler Ayad Al-Ani warnt davor, dass in dieser digitalen Leistungsgesellschaft die Schwachen, die Sensiblen, die Introvertierten untergehen könnten.

Der Begriff Arbeit wird jedenfalls neu definiert. Immer mehr eigenverantwortliches Konzipieren und Agieren wird nötig sein. Die Zeit von Stechuhren und Ärmelschonern, nine-to-five-Jobs und lebenslanger Sicherheit auf einen Arbeitsplatz sind längst vorbei. Das beklemmende, zynische Circle-Szenario bleibt aber hoffentlich Satire. Und auch, dass nur die ewig gutgelaunten Selbstdarsteller die Sieger sind.