Leben

Zeit der Zärtlichkeit

Es ist der Klebstoff, der Beziehungen zusammenhält. Das „Kuschelhormon“ Oxytocin. Ein Hormon, das große Wirkung hat – es beschert uns Glücksgefühle, Liebe und Vertrauen und es vermindert Stress. Hätten wir es nicht von der Natur geschenkt bekommen, man müsste es glatt erfinden.
Es funktioniert von Anfang an. Schon vor der Geburt. Kurz bevor die Wehen einsetzen, steigt die Konzentration dieses Neurotransmitters, der in der Hirnanhangdrüse produziert wird, im Körper der Mutter. „Leicht gebärend“ lautet die Übersetzung von Oxytocin, das Wort kommt aus dem Altgriechischen.
Nach der Geburt geht es weiter: Oxytocin ist verantwortlich für die Produktion der Muttermilch. Doch es kann viel mehr als körperliche Reaktionen auslösen, es wirkt auch auf die Seele und das Verhalten. Wenn der Säugling an der Brust seiner Mutter nuckelt, sorgt das Oxytocin für Stressabbau. Die Frau ist entspannt, glücklich, zufrieden. Diese positiven Gefühle verstärken die Bindung zwischen Mutter und Kind. Das Baby bekommt den Schutz und die Fürsorge, die es braucht. Das ist gut so, denn nach dem Saugen und der körperlichen Nähe zur Mutter steigt auch beim Kind die Oxytocin-Konzentration – und das Vertrauen zu jener Person, die ihm die wichtigste ist. Die Mutter reagiert schon, wenn sie ans Stillen denkt oder wenn sie ihr Kind weinen hört, mit erhöhter Oxytocin-Produktion.

Liebe macht blind, sagt der Volksmund und irrt in diesem Fall nicht. Für Außenstehende ist dieser Effekt mitunter schwer nachvollziehbar, für die Beteiligten allerdings ein Glück. Eine Mutter findet ihr Kind in jedem Fall schön – auch wenn sich diese Schönheit anderen Menschen nicht immer erschließt. Ein Umstand, der dem hilflosen Kind Zuneigung und Aufmerksamkeit der Mutter sichert.
Was für die Beziehung von Mutter und Kind gilt, wirkt auch im Zusammenleben von Mann und Frau. Deshalb heißt Oxytocin auch das „Treuehormon“. Versuche von Forschern der Universität Bonn haben gezeigt, dass Männer ihre eigene Partnerin attraktiver finden, wenn ihnen Oxytocin mittels Nasensprays verabreicht wurde. Für andere Frauen interessierten sie sich nicht, auch wenn die noch so schön und attraktiv waren. Dafür wurde beim Anblick der eigenen Partnerin das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert – ein Grund mehr für monogames Verhalten.
Der Linzer Sexualmediziner Georg Pfau weiß, wie wichtig das Hormon für ein funktionierendes Liebesleben ist. Die wichtigste Erkenntnis für ihn: „Endlich ist man draufgekommen, dass auch Gefühle nach biologischen Prinzipien funktionieren.“ Es sei falsch, die Sexualität als rein soziales Konstrukt zu sehen. „Die biochemische Reaktion, hervorgerufen durch das Hormon, wirkt auf Körper und Seele.“
Oxytocin aus der Spraydose als Allheilmittel, daran glaubt Pfau nicht. „Es kann sicher nicht Defizite innerhalb einer Beziehung wettmachen.“ Doch er kennt Wege zum Glück. „Die Gesellschaft leidet an einem Mangel an Zärtlichkeit. Wir sind untererotisiert, aber übersexualisiert.“ Deshalb propagiert er „das gesundheitsfördernde Prinzip der Zärtlichkeit“.

Als Voraussetzung für eine funktionierende Beziehung nennt er schlicht „Liebe“. Klingt banal, ist es aber nicht. „Liebe kann durch Sexualität aktiviert werden. Das läuft über Oxytocin“, sagt Pfau. Eines dürfe man dabei nicht verwechseln: „Sexualität ist nicht gleich Geschlechtsverkehr und schon gar nicht Orgasmus.“ Besser findet Pfau den Begriff „intimes Beisammensein“. Und das kennt viele Spielarten. „Dazu zählt beispielsweise, wenn Menschen, die miteinander vertraut sind, ein gemeinsames Essen einnehmen.“
Versuche mit Schimpansen, die dem Menschen in vielem recht ähnlich sind, lieferten den Beweis dafür. Die Primaten waren friedlich gestimmt, nicht aggressiv und kamen einander rasch näher, wenn sie ihr Futter miteinander teilten. „Auch das Candlelight-Dinner ist bereits Sexualität“, meint Pfau. Der Oxytocin-Spiegel steige ebenso wie bei Berührungen. Er rät zu gemeinsamen Duschen, Streicheln von Bauch und Innenseiten der Oberschenkel. „Das wirkt beim Geber und beim Empfänger.“ Eine vertrauensbildende Maßnahme, gewissermaßen. In der Folge lösen sich Ängste und Spannungen, gute Voraussetzungen, um Sex zu haben und dabei weiteres Oxytocin zu produzieren.
Ein Kreislauf der Zärtlichkeit.

„Die Gesellschaft leidet an einem Mangel an Zärtlichkeit.

Wir sind untererotisiert, aber übersexualisiert.“

Georg Pfau, Sexualmediziner

Der britische Biochemiker Henry Dale entdeckte 1906 Oxytocin in der Hypophyse, der Hirnanhangdrüse. 1953 wurde es zum ersten Mal isoliert. Das Hormon wirkt als biochemischer Botenstoff (Neurotransmitter) und ist beinahe ein Alleskönner:

  • Oxytocin vertieft und stabilisiert zwischenmenschliche Beziehungen
  • Es baut das Stresshormon Cortisol ab
  • Es stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind
  • Es macht unempfindlicher gegen Schmerzen
  • Es verstärkt die sexuelle Lust
  • Es stärkt das Vertrauen in andere Menschen
  • Es beseitigt Ängste
  • Es entspannt