Spaziergang: Am Wienerberg ist Wien am erholsamsten
Von Christian Seiler
Ich gehe durch Favoriten, Hauptbahnhof, Humboldtgasse, biege in die Raaber-Bahn-Gasse ein, die an die einstige Staatsbahn erinnert, die von Wien nach Györ führte, das ehemalige Raab, nehme die Leebgasse, um weiter stadtauswärts zu gehen, ein regelrechtes Handwerks- und Industriemuseum, Krankenkasse der Wiener Verkehrsbetriebe, denkmalgeschützt, eine ehemalige Lampen-, eine ehemalige Nähmaschinenfabrik, wunderschöne Ziegelbauten mit großen, verklebten Augen, Gemeindebauten aus allen Epochen, schließlich hole ich in der Van-der-Nüll-Gasse einen Freund ab, und wir nehmen Kurs auf den Wienerberg.
Ich gehe gern allein spazieren. Dann lasse ich mich treiben, bin bereit für Entdeckungen und Ablenkungen. Ich gehe aber noch lieber in Gesellschaft, manchmal nehme ich jemanden auf eine Runde mit, um ihr oder ihm etwas zu zeigen, eine Sensation, ein Phänomen zu teilen, zu vergesellschaftlichen. Besonders gern aber begebe ich mich in die Hände eines ortskundigen Führers, der seinerseits die Sensationen kennt, die er mir begreiflich machen möchte.
Heute nimmt mich mein Freund an der Hand, überquert mit mir die Raxstraße, wo die dicht verbaute Stadt endet, zuerst in eher locker verbaute Gemeindebauanlagen übergeht, dann in eine Kleingartensiedlung und dann in das Erholungsgebiet Wienerberg.
Wo die Wohntürme glänzen
Wir stehen am Abhang des früheren Industriegebiets und blicken über einen großzügigen, in voller Pracht blühenden Park hinunter auf den Wienerbergteich, darüber hinaus Richtung Alt Erlaa, wo die Wohntürme glänzen, und noch weiter Richtung Naturpark Föhrenberge, Rax, Schneeberg, die letzten Ausläufer der Nördlichen Kalkalpen.
Es ist ein großartiger Blick. Wir schweigen. Das Gelände hat eine lange, schweißgetränkte Geschichte. Aus dem hier abgebauten Ton wurden seit der Römerzeit Ziegel produziert. In der Monarchie wirkten hier staatliche Ziegeleien.
Die Twin Towers von Wien
Die inzwischen zum Weltkonzern aufgestiegene „Wienerberger AG“ wurde hier gegründet. Irgendwann wanderte die Industrie ab, der Wienerberg wurde zuerst zur Schutthalde, dann mit feiner Hand neu erfunden und in das Erholungsgebiet umgewandelt, in dem wir uns jetzt bewegen wie die Zwergdommel und die Rohrammer.
Wir drehen eine ausführliche Runde, betrachten vom Ufer des Wienerbergteichs mit seinem eindrucksvollen Schilfgürtel die Twin Towers von Massimiliano Fuksas, die elegantesten Hochhäuser Wiens, die sich oben an der Geländekante spektakulär aufbauen, dann gehen wir weiter und zurück. Mein Freund hat mir noch etwas zu zeigen.
Gegenüber von der Johann-Mithlinger-Siedlung, die an einen von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfer erinnert, befindet sich die Bäckerei Groissböck, ein Ziegelkomplex, der – mit Ausnahme der Beschriftungen – aussieht, als wäre er direkt aus Liverpool importiert worden. Hier gibt es Krapfen und Schaumrollen, die mein Freund schätzt, jetzt fragt er mich nach meiner Meinung.
Er kauft sechs Stück. Wir gehen zu ihm in den Garten, es gibt Kaffee. Wir essen alle Krapfen auf. Die Frage, wie gut sie sind, dürfte beantwortet sein.