Volksmusik: Die Dudlerinnen von Wien
Von Eva Gogala
Wenn Trude Mally, die kleine, runde Frau mit den akkurat toupierten, blonden Haaren und dem mächtigen Busen zu singen anfing, dann verstummten die Wirtshausgäste und hörten aufmerksam zu. Sie lauschten Mallys kräftiger Stimme, die der Beweis dafür war, dass die Alpen von Wien nicht weit entfernt sind. Dudeln ist das Jodeln von Wien. Die Stimme kommt entweder aus der Brust oder aus dem Kopf, nur die Mittelstimme ist nicht zu hören.
Oder, wie Trude Mally es ausdrückte: „Dudeln – des ist des, was ma entweder hat oder net hat.“ Das Besondere sei der „Kehlenschlag da unten“, meinte sie. „In 20 Jahren wird niemand mehr wissen, was des eigentlich is: Dudeln.“ Das war in den 1990er-Jahren. Trude Mally, sie war die jüngste der alten Wiener Dudlerinnen, ist mittlerweile seit fast vier Jahren tot. Doch mit ihrer Prognose irrte sie. Zum Glück.
Dafür ist Christina Zurbrügg verantwortlich. „Es war für mich die Entdeckung eines Universums“, sagt sie heute. Diese Entdeckung fand vor mehr als 20 Jahren im Liebhartstal, im Wirtshaus „Zum alten Drahrer“ statt. In der überfüllten und verrauchten Gaststube traten sie damals noch allmontäglich auf: Poldi Debeljak, Luise Wagner, Trude Mally und Anny Demuth, die „singende Wirtin“ und resche Patronin des „Alten Drahrers“. Die letzten vier originalen Wiener Dudlerinnen, die entweder a cappella sangen, mit Ziehharmonikabegleitung oder zur Schrammelmusik.
Es waren die Persönlichkeiten dieser Frauen, die die gebürtige Schweizerin Zurbrügg so faszinierten. „Die Art, wie sie sangen, wie sie sich an den Händen hielten beim Singen, ihre Gesten, ihre Lebendigkeit, ihr Witz, ihre Virtuosität.“ Sie hielt die Musik der Volksmusikantinnen fest und ließ sie dazu ihre Lebensgeschichte erzählen. Die Geschichte von Frauenpower aus dem Wien einer Zeit, als man noch am Dialekt erkennen konnte, aus welchem Bezirk der andere stammte, als das Geld rar war und man in der kargen Kriegs-, Zwischenkriegs- oder Nachkriegszeit bei Musik und einem Gasthausbesuch bescheidene Unterhaltung suchte und fand.
Gespielt und gesungen wurden Lieder, die oft nirgends aufgeschrieben worden waren. Sie entstanden, nachdem zunächst im 17. und 18. Jahrhundert Tiroler Singgemeinschaften mit großem Erfolg in Wien aufgetreten waren. Später, im Biedermeier, führten Wiener Komponisten diese Tradition fort. Man musizierte in geschlossenen Räumen, Gräfinnen spielten Zither, der „Salonjodler“ entstand. Und später versuchten die Dudler die beliebten Ländlerweisen, die eigentlich von Geigen und Klarinetten gespielt wurden, mit ihren Stimmen nachzuahmen.
„Wiener Tanz“ wurden dort gespielt, wo das Volk sich unterhalten wollte.
„Orvuse on Oanwe“ lautet der rätselhafte Titel der Film-Doku und des Buches, in denen die Dudlerinnen Zurbrügg von sich und ihrem Leben berichten. „Es hat früher eine spezielle Sprache gegeben, die haben vor allem Kellner und Musiker gesprochen“, erinnert sich Trude Mally. Da wurde alles besprochen, was nicht für fremde Ohren bestimmt war. Die Wörter begannen mit einem „O“, danach wurden die Silben vertauscht. „Orvuse on Oanwe“ heißt also „Servus in Wien“.
„Früher hast ja nix g’habt, kan Fernsehn, ka Radio“, erzählt Poldi Debeljak. Wenn man sich unterhalten wollte, dann ging man dorthin, wo musiziert und getanzt wurde. Oder, wie es in Poldi Debeljaks „Leibjodler“ heißt: „Mei allergrößte Freud ja die is zu jeder Zeit, wann i a Musi hör, da verlang i net mehr.“ Christina Zurbrügg hörte zu, zeichnete auf und drehte den Dokumentarfilm. Aber vor allem wurde sie selbst zur Dudlerin. „Du bist ja Schweizerin und kommst aus einer Jodelgegend“, bekam sie bei den Interviews zu hören. „Sing du doch auch.“ Zurbrügg, die Schauspiel und klassischen Gesang studiert hat, traute sich. Nicht zuletzt, um die Vorbehalte gegen die Volksmusik, die sie am Anfang ihres Filmprojekts zu spüren bekam, auszuräumen. „Dieses Image des Altmodischen, ,Bachenen’, wie man in Wien sagt, des leicht faschistisch Angehauchten. Das Ergebnis lautet „Doodle it. Yodels from Vienna“, eine Mischung aus Gesang, Rap, Jodeln, begleitet von Ziehharmonika, Saxofon, Keyboard, Bass und Percussion. Die alten Lieder, neu interpretiert. Der Leibjodler ist ebenso dabei wie die „Zeiserl-Symphonie“ und das Lied übers „Glöckerl von Maria Schutz“.
In einem widerspricht Christina Zurbrügg allerdings der Dudlerin Trude Mally, die felsenfest davon überzeugt war, das Dudeln müsse in einem drin sein, lernen könne man das nicht. „Die Leute wollen singen. Ich gebe mehrmals im Jahr an Wochenenden Jodelkurse. Da geht’s um das Musikantische, nicht einmal Notenlesen ist nötig.“
Der Lernerfolg lässt sich hören. Im 1. Wiener Jodelchor treten Frauen und Männer im Alter zwischen 26 und 75 Jahren auf. Das nächste Mal gemeinsam mit Zurbrügg am Samstag, den 25. Jänner, um 19.30 Uhr im Theater akzent.
Info:
Gewinnspiel
Gewinnen Sie hier drei CDs „Doodle It“ von Christina Zurbrügg und drei DVDs „Orvuse on Oanwe“.
Noch ein Tipp: Für alle, die ihre Dudelkenntnisse ausbauen und vertiefen wollen, findet am Mittwoch, 29. Jänner, beim Heurigen Hengl-Haselbrunner (1190 Wien, Iglaseegasse 10) ein Dudelstammtisch mit Wienerlied-Sängerin Agnes Palmisano und Roland Sulzer statt. Beginn 19.30 Uhr, Unkostenbeitrag 10 Euro, Reservierung: 01/320 33 30.
Zum Kennenlernen: Agnes Palmisano sing den Erzherzog-Johann-Jodler: