Leben

Eine prächtige Seele

Einer der interessantesten Aspekte meines Berufs besteht darin, dass er die Gelegenheit gibt, spannende Menschen kennen zu lernen – etwa bei Interviews. Manche sind Feuerköpfe (etwa der vor bissigem Intellekt sprühende Gerd Bacher), manche sind Leuchttürme, wie der von weisem Humor strahlende Gert Voss, manche sind unangenehm (wie der Schriftsteller, der beim Autorisieren eines Doppel-Interviews nicht nur seine, sondern auch die Antworten des zweiten Interviewten neu schreiben wollte).

Aber wenige waren wie Helmuth Lohner, der sich jedes Wort abrang, bis er erschöpft war wie ein Marathonläufer, weil ihm der Gedanke unerträglich war, etwas Halbes, Banales, nicht Wahrhaftiges zu sagen.

Und genauso spielte er seine Rollen: Obwohl er von der Natur mit einem Talent ausgestattet worden war, wie es nur selten vergeben wird, schien ihn jede Rollengestaltung bis auf die Knochen zu erschüttern, jede Rolle war für ihn eine Wanderung durch vermintes Gelände. Darum wurden seine Figuren stets so wertvoll: Gefährdete, kostbare Charaktere, an denen die Verzweiflung des Lebens riss, bis es ihnen die Gesichtszüge und die Glieder verrenkte.

Dass Lohner den Begriff Publikumsliebling so verstörend fand, ist nur logisch: Kumpanei mit dem Publikum, vorauseilende Zustimmung, stillschweigende Übereinkunft auf ein arbeitsloses Grundeinkommen durch Sympathie waren ihm nicht nur fremd, sondern schlicht unerklärlich. „Das geht nicht in meinen Kopf hinein“, sagte er mir einmal in einem Interview.

Helmuth Lohner war ein Jahrhundertschauspieler, ein weiser Mensch, eine prächtige Seele voller Neugier und Zuneigung. Sein Tod ist ein schrecklicher Irrtum, eine empörende Fehlentscheidung, ein nicht hinzunehmender Skandal.