Leben

Körper-Kunst

Wenn es heiß ist, kommt vieles zutage, was sonst verborgen bleibt. Tattoos zum Beispiel. Die bunte Körperzier erfreut sich nach wie vor steigender Beliebtheit. In der FREIZEIT erzählen sechs Menschen die Geschichte ihrer Tätowierungen.

„Bei Tiffany würden sie mich vermutlich eher nicht nehmen“, sieht Nicole der Realität gefasst ins Auge. Boutiquen „mit Totenköpfen und Bling-Bling“ gäbe es zwar einige, die zum Style der Blondine mit dem extrem ausgeprägten Geschmack passen. Aber nur weil sie Tattoos trage, müsse sie ja für ihre berufliche Zukunft nicht unbedingt schwarz sehen, meint die 29-Jährige. Stimmt. Als stellvertretende Filialleiterin bei Miss Sixty auf der Mariahilferstraße ist sie ohnehin ein Kundenmagnet.

Fürs Leben gezeichnet. Irgendwie schon. Tätowierungen sind zwar längst kein Phänomen einer bestimmten Schicht mehr. Eine stigmatisierende Wirkung kann ihnen dennoch nicht abgesprochen werden, im Negativen wie im Positiven. Anfang Juli machte Victoria Beckham via Instagram bekannt, dass die umfangreiche Tattoo-Kollektion am Körper ihres Göttergatten eben um ein Motiv erweitert wurde – um einen gestochenen Minion. Autsch!

An der Szene fallen derlei Späße unter die Rubrik „Kurzzeit-Tattootrend“. „Dazu gehören etwa Federn, Pusteblumen, Sterne oder eben jetzt die Minions“, meint Sabrina Holcik aus Fischamend. Sie trägt drei Tattoos von Osa Wahn, einer echten Künstlerin in diesem Metier, eines davon schon seit neun Jahren. Daher ihr Rat: „Da man im Normalfall sein Tattoo ein Leben lang trägt, sollte man gut überlegen, was man sich machen lässt, beziehungsweise, was zu einem passt.“

Sieht man sich in der Straßenbahn oder im Strandbad um, haben offenbar immer mehr junge Menschen eine Entscheidung getroffen. Laut einer Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstituts Imas vom August 2013 trägt beinahe jeder fünfte Österreicher ein „Peckerl“, bei den unter 30-Jährigen sogar fast jeder Dritte.

Als das Nachrichtenmagazin profil vor drei Wochen seine Leser fragte: „Tragen Sie ein Tattoo?“ antworteten immerhin 37,5 Prozent mit „Ja, Tattoos sind super“, 12,5 Prozent meinten „noch nicht, aber ich spiele mit dem Gedanken“. Die restlichen 50 Prozent wiegelten hingegen ab: „Nein, kommt nicht in Frage.“


Der anhaltende Trend zum Tattoo lässt sich trotzdem nicht aufhalten. Mehr noch. War die dauerhaft ver(-un)zierte Haut vor einem halben Jahrhundert noch fast ausschließlich etwas für Männer, richtige Männer, so finden sich immer mehr Frauen sowohl unter den Tätowierten als auch unter den Tattoo-Künstlern.

„Frauen gehen gerne zu Frauen“, sagt Nicole. Und erzählt von „ihrer“ Künstlerin, Anastasia: „Zwischen uns hat sich schon eine richtige Freundschaft entwickelt.“ Mit Carola Deutsch aus Graz war es sogar eine Österreicherin, die im Vorjahr als Siegerin aus dem renommierten Nachwuchs-Contest des „Tätowier-Magazin“ aus Mannheim hervorging. Die Branchenbibel kommt monatlich in einer Auflage von immerhin 65.000 Exemplaren heraus.


Wer sie nicht kennt, kann sie in einschlägigen Salons und Shops durchblättern, etwa bei Kitty Ink im „Wild at Heart“-Studio in der Kaiserstraße in Wien. Unsere Tattoo-Tour führt uns ebendorthin. „Promis mit Tattoos helfen wirklich ungemein“, konstatiert Kitty, die Herrin über das Studio im Hardrock- und Metal-Style mit angeschlossenem Shop für Accessoires, Fan-Artikel sowie T-Shirts.

Der Stacheldraht auf Pamela „Barb Wire“ Anderson habe der Branche vor 20 Jahren geholfen, aus der Schmuddelecke zu kommen, stellt sie fest.

Ihre Kunden lassen sich auch gar nicht näher eingrenzen, „das geht quer durch die Bank“ – so ungefähr von der Bankangestellten bis zum Rocker. Natürlich steigt damit auch die Zahl jener, die irgendwann die Schatten der Vergangenheit wieder loswerden wollen. Stichwort „Arschgeweih“.


Kein großes Problem. Jedes Tattoo-Studio berät einen wegen so genannter Cover-ups, also der Beseitigung von Tattoo-Sünden. Oder die Träger erweisen sich eben als so stark, den ehemaligen Fauxpas durchs ganze Leben zu tragen. So wie Conchita Wurst steht auch Oscar-Preisträgerin Helen Mirren zur ihrer Jugendsünde. Herzeigbar ist diese in keinem Fall. Beide haben sich ihr Hautbild imVollrausch verpassen lassen.


Werbe- und Modefotograf Christian Maricic jedenfalls fällt auf, „dass man heute mit einem Tattoo schon fast nicht mehr auffällt.“ Sein erstes, ein Drachenmotiv, ließ er sich vor mehr als zwanzig Jahren auf Arm und Schulter stechen. „Damit mein Gang nicht schief wird“, feixt er, „kam der andere mit Verzögerung von mehr als einem Jahrzehnt dran.“

Jetzt ist er Herr über einen Drachen und einen Tiger. Gestochen von einem Meister seines Fachs: Claus Fuhrmann. Sehr asiatisch. Und sehr passend, wenn man wie Maricic nebenbei die Kung-Fu-Variante Wing Chun unterrichtet.

Trendbewusste Urban-Hipster haben jedenfalls die Qual der Wahl. Statt Kritzeleien im Kuli-Stil sind längst High-End-Tattoos en vogue. Entweder im grafisch-realistischen Stil in Schwarz oder knallbunt im „Funtastic-Style“. Mystisch, apokalyptisch oder düster im „Dark-Art-Style“. Oder mit dynamischen Windungen. Mit einem Wort: alles andere als dezent.

Kein Problem für Robert, der als Bühnen- und Messearbeiter nicht unbedingt im Business-Anzug am Arbeitsplatz erscheinen muss. Alexandra hat sieben Jahre im ÖAMTC-Management gejobbt, „mit Bluse und so“. In der Einsatzzentrale geht es etwas lockerer zu. Trotzdem wissen nur wenige, dass ihr Rücken „eine Leinwand“ ist.

On Location: KURIER-Fotograf Gilbert Novy und Isabelle beim Shooting am Pool eines Hauses mit cooler Adresse - Janis-Joplin-Promenade in der Seestadt Wien-Aspern

Der Körper als Poesiealbum. Das trifft die Nadel auf die Haut, bei Nicole sogar auf den Kopf. Eine Schneeflocke „liegt“ dort, meist vom Haar verdeckt. Auch Dominik trägt eine Erinnerung an und mit sich herum – „an meinen geliebten Hund“.

Bei manchen mag es bisweilen nicht so aussehen, aber Tattooträger sind friedlich, zum überwiegenden Teil jedenfalls. Trotzdem löste die Gewissensfrage „Tattoo – ja oder nein?“ vor Kurzem einen Krieg aus, einen Schwesternkrieg im Hause Kardashian. Kendall Jenner, 19-jährige Estée-Lauder-Markenbotschafterin, erregte nämlich den nachhaltigen Zorn ihrer großen Schwester Kim, weil sie sich ein kleines Zeichen in den Mittelfinger stechen hat lassen – als romantischen Freundschaftsbeweis.

Kim Kardashians Einstellung zu dieser Form der Körperästhetik ist weidlich bekannt, seit sie in einem Interview fauchte: „Mich tätowieren lassen? Bitte! Man klebt doch auch kein Abziehbild auf einen Bentley."