Müde. Fröhlich. Müde.
Von Gabriele Kuhn
Mag sein, dass so mancher Mensch derzeit ermattet die Augen senkt, um festzustellen, dass das Wort „Selfie“ bei ihm Eiterpusteln auslöst. Und dennoch: die Lust, sich selbst bei irgendetwas abzulichten, ist ungebrochen. Der neueste Auswuchs des Selfie-Hypes ist derzeit auf Instagram zu begutachten: Dort boomen Fotos, die mit dem Hashtag #Aftersex verbrämt sind. Das sind Bilder, auf denen man Menschen im postkoitalen Status sieht. Also nicht beim Sex, sondern danach. Ja wirklich! Frauen und Männer knipsen sich kurz nach dem Geschlechtsverkehr, um diese Momentaufnahme dem Rest ihrer Welt zu zeigen. Eine neue Form des Exhibitionismus also. Da stellt sich natürlich automatisch die Frage, ob diese Welt darauf wirklich gewartet hat. Zumindest das TIME-Magazin beantwortete das unmissverständlich mit Nein, danke. Und titelte: #AfterSex – „Der Instagram Selfie-Trend, den wir nicht brauchen.“ Und dennoch: Da geht was. Weil der Mensch gerne hinschaut. Um zu sehen, was er eigentlich nicht sehen darf. Oder kann. Das ist der Voyeur in uns allen, der sich vielleicht heimlich fragt: Wie schaut der etwas verhaltene Finanzbuchhalter aus dem dritten Stock nach einem Orgasmus aus? Und wer liegt dabei neben ihm? Wie derangiert wirkt die Chefin, nachdem es ihr der Ehemann heftigst besorgt hat? Daran denken wir vielleicht. Weil es natürlich spannend ist, sich Personen in dieser Situation vorzustellen – in diesem Augenblick des Loslassens, in maximaler Entspanntheit, möglicherweise glücklich, möglicherweise auch nicht. Das hat was Echtes und Ehrliches. Ich persönlich finde Menschen, von denen man weiß, dass sie gerade Sex hatten, besonders schön und authentisch. Nie werde ich vergessen, was ein guter Freund dazu immer sagte: „Darling, you have that freshly fucked look on your face.“ Ein „Look“, der die Gesichtszüge sanft und entspannt wirken lässt, irgendwie glühend. Fast wie nach einer Verjüngungskur. Und – je nach Exzessgrad – auch müde. Aber gut müde, nicht arbeitsmüde. Fröhlich müde. Und, ja: Nicht immer sind diese Bilder druckreif, im Sinne von perfekt oder schön. Aber gerade das macht ihren Reiz aus. Und aus Sicht der Knipser? Vielleicht ist so ein After-Sex-Selfie einfach nur der Beweis an die Welt, dass etwas noch funktioniert. Dass „wir Sex hatten“ – yeah, Leute: Und wir zeigen’s euch, ob ihr das jetzt wollt oder nicht. Was mich übrigens noch zu einem weiteren Gedanken führt, nämlich zur Frage, was Menschen tun, wenn sie mit dem Vögeln fertig sind. Diesen Diskussionspunkt habe ich einmal in eine größere Freundesrunde geworfen und war erstaunt, was kam: Nur wenige finden den Griff zur Zigarette noch opportun. Stattdessen liegen manche einfach nur da und tun endlich mal nichts. In die Luft schauen, die Augen zumachen, blöd schauen. Das allerdings meist nur wenige Minuten lang. Bei vielen folgt jetzt Schritt zwei: der Griff zum Smartphone (kein Schmäh), weil man ja während einer Runde Doggy-Style etwas versäumt haben könnte. Am lustigsten fand ich allerdings die „After-Sex-Attitüde“ von Freundin G: „Ich rufe meine Mutter an. Weil ich in diesem Moment so entspannt bin, dass ich das gut aushalte.“