Leben/Salz und Pfeffer

Florian Holzers Restauranttest: Gasthaus Seidl

Gut, dass es noch Gasthäuser wie den Seidl gibt. Gasthäuser, wo man auf Holzbankerln sitzen, einen schönen Wein trinken und gutes, echtes Essen genießen kann. Wobei beim Seidl ganz schön viel mehr dahinter steckt, etwa dass Franz Seidl im Sacher gelernt und zwischenzeitlich ein Würstelstandl betrieben hat. Oder dass er die vergangenen Jahre im Keller Edelpilze züchtete (das Projekt wurde leider aufgegeben). Oder dass er seit eineinhalb Monaten einen neuen Küchenchef hat, wie man ihn sich in einem Gasthaus kaum erwarten würde: Thomas Wohlfarter kochte im legendären „Tantris“ in München, im Meinl am Graben und im Coburg, gilt als Christian Petz’ bester Mann. Projekte wie „Amarantis“ (2011) und „Dom Beisl“ (2014) scheiterten leider frühzeitig. Nach diversen Jobs, bei denen es in erster Linie um Küchen-Organisation ging, wollte er „einfach nur mehr kochen“. Und genau das macht er hier, und er macht es brillant. Marinierter Kalbskopf mit Tomatencreme, ein Wohlfarter-Klassiker, ist so köstlich wie eh und je (11,50 €), gegrillte Melanzani mit Kapernvinaigrette und knusprigem Reis-Pulpo-Knöderl holen den Golf von Neapel in die Ungargasse (12,50 €) und beim geschmorten Lamm weiß man nicht, wovon man mehr begeistert sein soll, vom bissfesten, aromatischen Fleisch oder vom Kürbis-Fisolen-Oliven-Gemüse (21,– €). Und dann ist da noch der vielleicht beste Milchreis Wiens, mit Kokosmilch und eingelegten Sauerkirschen, da kann jede Crème brûlée einpacken (7,50 €). Wunderbares Essen in ganz normalen Lokalen, auch „Bistronomy“ genannt, einer der sympathischsten Kulinarik-Trends seit Langem.

Gasthaus Seidl,
Wien 3, Ungarg. 63,
Tel: 01/713 17 81,
Mo-Fr 11-14, 18-22,
www.gasthaus-seidl.at

Bewertung:
   Küche: 30 von 35
   Keller: 6 von 10
   Service: 14 von 15
   Atmosphäre: 10 von 15
   Preis/Wert: 16 von 20
   Familie: 3 von 5
Gesamt: 79 von 100

florian.holzer@kurier.at