Mit dem Wohnmobil durch Schweden: Von Luxus-Nomaden und Eremiten
Ställplats – was wie die Rechtschreibkatastrophe eines Volksschülers aussieht, ist für uns ein wichtiges Thema. Wir, zwei Camping-Neulinge, tingeln mit einem Wohnmobil (geliehen bei den steirischen Camping-Profis Gebetsroither) durch Schweden und genießen nicht nur an Bord unseres Adria Matrix 590 ST Axess viel Freude und Komfort.
Bereits der erste angesteuerte Campingplatz „Skeda Strand“ nahe Värnamo entpuppt sich als wahrer Sommertraum: Ein riesiges Areal mit wogenden Getreidefeldern und blühenden Wiesen, leicht erhöht ein (natürlich) rotes Holzhäuschen, daneben sechs riesige Wohnmobil-Stellplätze samt Picknicktischen mit Blumenschmuck. Der Blick schweift weiter, hinunter zu einem lichten Wäldchen und dem im Sonnenlicht glitzernden Furensee. Ein Pfeil „fler Platser – weitere Plätze“ weist dorthin.
Wo nur sollen wir unser rollendes Zuhause abstellen? Oben bei den Blumentöpfen und der schönen Aussicht; auf dem abgeschiedenen, akkurat gemähten Stellplatz inmitten der Futterwiese oder unten beim See? Wir entscheiden uns für Letzteres und genießen bei 32 Grad Außentemperatur wohltemperierte Badefreuden. Das alles um nur zwanzig Euro pro Tag – inklusive Strom, gepflegten Toiletten, Dusche, Wi-Fi, Entsorgungsstation und Angeln im See (Zander).
Abends spaziert ein sympathischer junger Mann vorbei, grüßt höflich und fragt, ob auch wirklich alles okay sei. Skeda-Strand-Eigentümer Larz Teke ist sehr auf das Wohl seiner Gäste bedacht. Schnell kommen wir ins Plaudern: Seine Familie besitzt 86 Hektar Land. Einen kleinen Teil davon – 50.000 Quadratmeter für dreißig(!) Wohnmobile – widmete der gelernte IT-Techniker und Forstwirt dem fahrenden Völkchen. „Mit nicht viel mehr außer Natur und großzügig Freiraum“ grinst Larz. Und betont, dass Skeda Strand kein Camping-, sondern ein Motorhome-Platz ist. „Wohnwagen-Dauergäste mit ihrer Schrebergarten-Mentalität oder Low-Budget-Zelturlauber passen nicht dazu.“ Der mit Abstand beliebteste Ställplats auf Skeda Strand ist der einzelne inmitten der Futterwiese. „Ich nenne ihn Eremit. Und er brachte mich auf eine Geschäftsidee ...“
Jedermannsrecht mit Schranken
In Schweden gilt das sogenannte „Allemansrätten“: Jedermann darf für eine Nacht ein Privatgrundstück betreten, solange kein Haus in Sichtweite ist und der Besitzer keine eigenen Nutzungsansprüche geltend macht. Mit dem Camper-Boom machten jedoch einige Grundbesitzer schlechte Erfahrungen und sperren die Zufahrtswege ab. Doch es gibt Alternativen für ungestörten Naturgenuss abseits der offiziellen Campingplätze. Auch so mancher Wander- oder Übernachtungsparkplatz toleriert Wohnmobile rund um die Uhr. Den Weg zu den vielfältigen Möglichkeiten weisen einschlägige Apps, wahrhaft genial ist „park4night“ (park4night.com, mit Beschreibungen, Bewertungen, Fotos und Navigation).
Im Aufbau befindet sich die Plattform „Swede Stops“ (swedestops.eu): Als Pendant zu landvergnuegen.com in Deutschland bzw. bauernleben.at oder schaufaufsland.com in Österreich bietet sie autarken Reisemobilen eine Art Urlaub am Bauernhof: Gegen eine Mitgliedsgebühr (30 bis 35 Euro pro Jahr) offerieren landwirtschaftliche Produzenten (Bauernhöfe, Winzer, Gärtner, Bäckereien, Schlossgüter etc.) 24 Stunden kostenfreies Parken sowie ihre Spezereien zum Kauf (fefi.eu).
Und dann gibt es Larz’ neue Geschäftsidee „Eremit“: private Landbesitzer (aktuell gut sechzig) stellen gegen eine geringe Gebühr schöne, abgeschiedene Ställplatser (meist an Seen) für genau ein Wohnmobil zur Verfügung und versprechen Ruhe und Exklusivität. Oft gibt’s Zusatzleistungen wie Saunen, Grill, Boote und vieles mehr. Die Abwicklung funktioniert über die App eremit.app.
Nomaden bis Dalarna
Schweden präsentiert sich 2021 als stilles Urlaubsparadies am Busen der Natur. Im Land des anderen Corona-Weges sind fast nur Einheimische unterwegs, die spärlichen Auslandstouristen werden herzlichst empfangen. Die unaufgeregte, sanft wellige Landschaft mit wogenden Getreidefeldern, verstreuten falunroten Häuschen, gesunden Wäldern sowie Hunderttausend Seen (so die offizielle Schätzung) widerspiegelt die sprichwörtliche Gelassenheit der Schweden. Schnell ist auch der Urlauber tiefenentspannt und im Slow-down-Modus.
Dennoch darf man einige Höhepunkte im Land der Elche nicht versäumen. Da ist einmal die wasserreiche Hauptstadt Stockholm. Ein absolutes Muss ist auch ein Abstecher in die zerfranste Inselwelt der Schären: Allein der Stockholmer Schärengarten umfasst rund 30.000 Eilande. Am schönsten ist dieses Idyll der verstreuten Ferienhäuschen per Kajak zu entdecken. Im unbewohnten Naturreservat Stendörren erschließen Hängebrücken und Stege die einzigartige Insellandschaft und beglücken Wanderfreunde sowie Wasserratten.
Tipps: Zwei zwingende Zwischenstopps
Mittsommer – so raunen uns die Schweden zu – muss man einfach in Dalarna verbringen. Die Heimat des berühmten roten Holzpferdchens und des nationalromantischen Malers Anders Zorn gilt als traditionsreichster, idyllischster Landstrich des Landes. Beim Wort „Siljansee“ (rund 270 Kilometer nordwestlich Stockholms) bekommt so manch einer feuchte Augen vor Nationalstolz.
Wohnmobilisten sind flexibel, so brechen wir kurz entschlossen nach Mittelschweden auf. Am Weg entdecken wir in der einstigen Kupfer-Bergbau-Stadt Avesta die faszinierende Mischung eines schaurig-schönen Industriedenkmals mit moderner Kunst. Nicht minder beeindruckend ist die einstige Grube von Falun. Sie lieferte im 17. Jahrhundert zwei Drittel der gesamten Welt-Kupferproduktion und ist heute UNESCO-Weltkulturerbe.
Gleich dahinter beginnt das reinste Bilderbuchidyll des Siljansees. Ende Juni wird es erst gegen 23 Uhr dämmrig, um eins geht die Sonne wieder auf; das Wasser ist warm genug zum Baden. Gut, dass ein Urlaubstag hier deutlich länger dauert, denn viel zu schnell ruft wieder die Heimat.
Wir rollen, rollen, rollen mit entspannten 80 bis 110 Kilometer pro Stunde wieder gegen Süden. Raser? Fehlanzeige! Letzte Schweden-Station ist der Eremiten-Ställplats Kvarndammen bei Hörby. Die App leitet uns zu einer versteckten Wiese im Wald. Natur pur und keine Menschenseele weit und breit. Der schöne Teich gehört nur uns, ebenso die Sauna. Der Abend ist empfindlich kühl, schon knistern die Holzscheite im Saunaofen und wohlige Wärme wechselt mit Schwimmen ab. Ja, das ist Schweden-Luxus pur.
Anreise – Fährverbindungen
Schnellste Verbindung von Wien über Brünn, Prag, Dresden und Berlin nach Rostock (880 km); weiter mit der Fähre.
– ttline.de: Rostock– Trelleborg (5,5 bis 6 Std.) oder Travemünde–Trelleborg (8 Std., günstige Kabinen für die Nacht).
– frs-baltic.com: Sassnitz/ Rügen–Ystad (Speedjet 2,5 Std.). Weiters: stenaline.de, finnlines.com/de.
Übernachten
– Schweden: camping.se/de (offizielle Campingplätze); swedestops.eu (landwirtschaftliche Betriebe); eremit.app (einsame Plätze).
– park4night.com: App mit über 180.000 referenzierten Plätzen in Europa für Wohnmobile und Vans, Bewertungen und Fotos von Usern, Grundversion gratis
– landvergnuegen.com: landwirtschaftliche Stellplätze für Anreise durch Deutschland
Wohnen
Gebetsroither ist Marktführer für den Wohnmobilverleih in Österreich: insgesamt 60 Reisemobile (für 2 bis 6 P.) und Vans gibt es in der Zentrale in Liezen/St, in Wien-Hagenbrunn und Weißkirchen bei Wels/OÖ zu mieten. Preis: 818 € bis 1.388 € pro Woche. Rasch buchen – enorme Nachfrage, für die aktuelle Hochsaison gibt’s noch Restplätze. wohnmobilezummieten.com
Auskunft
visitsweden.de, visitstockholm.com, visitdalarna.com