Leben

Radprofi Mühlberger zur Tour: "Ich kann eine Etappe gewinnen"

Einige Tage vor dem Start der Tour de France treffen wir Rad-Profi Gregor Mühlberger, 25, im Hotel Gmachl in Salzburg zum Interview. Sein Rennrad steht schon da, doch wo ist er? Ein Fluchtversuch ohne Rad vielleicht? "Er zieht sich nur fürs Fotoshooting um", erklärt der KURIER-Fotograf. Wenig später erscheint Mühlberger im hautengen Team-Dress (BORA-hansgrohe) und grinst über beide Ohren. Denn seine Freundin Astrid begleitet ihn. Ihr hat er vor wenigen Monaten in Paris einen Heiratsantrag gemacht. Wenn Mühlberger das nächste Mal nach Paris kommt, dann mit 3.460 Kilometern und seiner zweiten Tour in den Wadeln. Ob der Edel-Helfer von Landsmann Patrick Konrad dann auch Tour-Etappen-Sieger ist? Nicht nur er traut sich das zu. Warum also nicht gleich Kapitän werden?

Herr Mühlberger, wären Sie nicht gerne der Chef im Team bei der Tour de France?

Führungsperson bin ich gerne, vor allem bei schweren Eintagesrennen oder einwöchigen Rundfahrten, aber nicht bei einer Grand Tour, wo ich über drei Wochen jeden Tag meine Leistung abrufen muss. Ich bin auch vom Körperlichen her nicht dafür gebaut, weil ich zu muskulös bin. Es gibt Fahrertypen, die schmäler sind, weil sie wenig Muskelmasse zunehmen, selbst, wenn sie trainieren. Bei mir ist das ein bissel anders.

Haben Sie in den letzten Tagen vor dem Start  von der Tour geträumt?

Ab und zu. Bei der Tour 2018 war noch mehr Nervosität dabei, weil es meine Premiere war. Es ist das größte Radrennen, alle haben vom Stress und der Schnelligkeit im Peloton gesprochen und dass alles nochmal härter ist als beim Giro oder bei der Vuelta. Da hat man gewissen Respekt.

Wie sehen die letzten Tage vor einem so schweren Rennen aus?

Am 3. Juli bin ich nach Brüssel geflogen. Dann gab es noch die Team-Präsentation und einige Fahrstunden, damit der Körper nicht ganz runterfährt. Man muss komplett ausgerastet bei der ersten Etappe am Start stehen. Wenn du nur leicht erkältet oder müde bist, kannst du eigentlich gleich wieder einpacken.

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Ich habe im Vorfeld mit einigen Leuten gesprochen, die meinten, Sie wären in der Lage eine Etappe zu gewinnen.

Es ist jetzt mehr als zehn Jahre her, dass mit Georg Totschnig der letzte Österreicher eine Etappe gewonnen hat. Mein erstes Ziel war es, überhaupt einmal Profi zu werden, dann  die Tour zu fahren. Jetzt denke ich, dass ich eine Etappe gewinnen kann. Ich würde nie darüber sprechen, wenn es unrealistisch wäre.

Kann man den Erfolg von Totschnig, der gedopt hat, überhaupt werten?

Ich möchte das nicht beurteilen. Damals waren die Zeiten im Radsport andere.

Lance Armstrong und Jan Ulrich waren für viele Radsport-Fans die größten. Kann es solche Ausnahme-Fahrer ohne Doping überhaupt geben?

Es gibt sie, aber heute wird anders Rennen gefahren. Die Vorbereitungen sind zum Beispiel viel wissenschaftlicher geworden. Man kann mittlerweile sehr exakt trainieren und weiß auf fünf Watt genau, wie schnell man fahren kann. Für die Zuseher ist es dadurch langweiliger geworden.

Warum soll ich dann zuschauen?

Weil wir uns zu mehr Spannung schon nochmal hinarbeiten können. Das viel größere Problem des Radsports ist, dass er in ein Licht gerückt wurde, das nicht unbedingt positiv war.

Positiv schon – im negativen  Sinne. Hört Doping denn nie auf?

Im Sport ist es wie bei Unternehmern. Auch dort wird es vereinzelt immer wieder welche geben, die Steuern hinterziehen. Ich glaube, im Radsport hat sich jetzt einiges geändert. Früher haben das die Teams in die Hand genommen. Das Motto war: ‚Entweder du machst mit oder bist weg‘, siehe Lance Armstrong. Heute ist alleine die  körperliche Verfassung der Fahrer eine andere, die Räder sind besser und sportwissenschaftlich ist auch viel passiert. Viele  Fahrer sind auf demselben Niveau. Die ganz großen Leistungsunterschiede gibt es nicht mehr.

 

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Mühlberger gestikuliert mit den Händen. Am Ringfinger der rechten Hand trägt er einen auffälligen Silberring, dazu ein Silberarmband.

Es ist selten, dass ein Radfahrer Schmuck trägt. Warum Sie?  

Es stimmt. Ich bin da einer von ganz wenigen und finde Schmuck wirklich schön. Deshalb freue ich mich auch sehr darauf,  meine Freundin Astrid  zu heiraten. Denn nach der Hochzeit kann ich meinen Ring für immer tragen. Wie schön! Ein Mann, der seinen Ehering gerne tragen will, ist auch selten.

Astrid Gassner, Mühlbergers Freundin, strahlt über das ganze Gesicht.

ASTRID GASSNER: Und ich hab ihn gefunden. Gregor freut sich wirklich drauf!

Bis es soweit ist, tragen Sie einen Ring mit  Bundesadler-Wappen. Sieht so aus, als wären Sie ein Patriot.

GREGOR MÜHLBERGER: Ich bin sicher heimatverbunden, aber kein krasser Patriot. Ich glaube einfach, uns geht es so gut daheim, speziell in Salzburg, wo wir leben. Wir haben Seen, Berge, Flachland und Hügel. Man muss nicht woanders hinfahren, um Urlaub zu machen.

Oder Rad zu fahren ...  

Für mich ist es gut, dass der Flughafen in der Nähe ist, weil ich viel reise, aber auch das Trainingsgebiet rundherum.

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Sind Sie eigentlich berufsbedingt ein Asket? Angeblich trinken Sie, wenn überhaupt, maximal ein kleines Bier.

Da geht es nicht um den Alkohol. Vielmehr holt es mich wahrscheinlich, wenn ich noch ein zweites trinke. Ich vertrage nichts! Aber generell ist Radsport viel Verzicht. Ich bin nicht der Typ, der krankhaft sein Essen abwiegt, aber zu den Saison-Höhepunkten achte ich sehr auf die Ernährung. Es ärgert mich immer, wenn Leute sagen, Radprofis fahren mit Hilfsmitteln, aber nie darüber gesprochen wird, worauf wir verzichten müssen. 

Wie werden Sie eigentlich während der Tour verpflegt?

Unser Team arbeitet hauptsächlich mit Bio-Produkten. Das ist im Peloton (Anm.: Hauptfeld der Radfahrer)  bekannt. Wir haben einen eigenen Kitchen-Truck, in dem für uns gekocht wird. Das ist eigentlich einzigartig.  

Sie haben Bio erwähnt: Ist das Umwelt-Thema bei den Radfahrern ebenfalls angekommen? Während eines Rennens fliegen doch einige Plastikflaschen durch die Luft.

Die Flaschen recyceln sich quasi von selbst. Sobald bei der Tour, egal von welchem Fahrer, eine Flasche weggeworfen wird, hauen sich die Leute dafür fast die Köpfe ein. Ich glaube aber, unser Team ist dran. Es braucht noch ein bisschen.

Ist der extrem nahe Kontakt zum Publikum nicht gefährlich?

Ich mag den Kontakt sehr gerne. Er gehört zu unserem Sport dazu und macht ihn aus. Die Fans haben die Top-Stars in Griffweite. Das gibt es beim Fußball nicht. Natürlich ist es ein gewisses Risiko, weil die Leute schon länger feiern, bevor die Fahrer kommen. Aber generell wären abgesperrte Strecken ein Schas.

Wer ist eigentlich Ihr Idol im Radsport?  

Das war Marco Pantani, der leider am 14. Februar 2004 verstorben ist.

Wie genau Sie das wissen! Was hat Sie an ihm fasziniert?

Die Art und Weise, wie er Rennen gefahren ist. Er war kein dominanter Fahrer wie ein Lance Armstrong, der überall stark war – im Zeitfahren, bei Bergetappen und im Hügeligen. Pantani hat einfach attackiert und auf diese Weise lange Solo-Fluchten gewonnen. Oder er war nach einer Attacke am letzten Anstieg einfach weg. Keiner hat ihm folgen können. Die Pässe bergauf immer gleich – im Wiegetritt, nach vorne gebeugt, die Hände am Unterlenker. Das hat mir  g’scheit getaugt.

Um seinen Tod ranken sich viele Verschwörungstheorien. Was denken Sie?

Er hatte eine Überdosis. Ich glaube, die haben ihn von außen so fertig gemacht, dass er keinen Ausweg mehr gesehen hat. Angeblich hat ihn auch die Mafia unter Druck gesetzt, weil er Rennen gewonnen hat, die er nicht hätte gewinnen sollen, weil  sie drauf gewettet hat. So wurde es geschrieben.

Verfolgen Sie auch das Schicksal von Jan Ulrich, der gegen seine Alkoholsucht kämpft?

Das ist extrem traurig, vor allem, wenn man bedenkt, dass er mit 21 Jahren die Tour gewonnen hat. Ich glaube nicht, dass es nur sein Fehler ist. Wahrscheinlich haben ihn auch falsche Kollegen reingeritten. Zumindest probiert er, davon wegzukommen.

Der Radsport scheint ein hartes Pflaster zu sein. Sonst wären wohl solche Schicksale nicht möglich, oder?  

Ich denke, das ist typabhängig. Es gibt eben Radfahrer, die nur ihren Sport im Kopf haben. Besser dran sind diejenigen, die eine gewisse Lockerheit mitbringen und fahren, so lange sie Spaß dran haben. Bei den Top-Leadern zeigt sich die Stärke im Umgang mit Druck von außen. Sie fangen nicht an zu schwitzen, weil sie abrufen müssen, sondern nehmen Druck gelassen. Ihre Einstellung ist: ‚Wenn ich es nicht kann, hätte es in dem Moment auch kein anderer aus dem Team gekonnt.‘

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Was halten Sie von Mentaltraining?  

Die Astrid ist meine Mentaltrainerin. Das ist extrem wichtig, vor allem, wenn es einmal nicht so rennt. Sie zeigt mir dann, dass es noch Wichtigeres gibt, als Radfahren. Ich bin nämlich jemand, der sich richtig reinsteigern kann, wenn es einmal knapp wird.  

Astrid, wo werden Sie die Tour erleben?

GREGOR MÜHLBERGER: Ich wünsche mir, dass du in Paris auf mich wartest.

ASTRID GASSNER: Das wird auch so sein. Ich werde mit einer abenteuerlustigen Freundin zwei Wochen mit einem Bus zu den verschiedenen Etappen fahren. Wir hauen uns einfach zwei Matratzen rein und los geht’s. Das haben wir 2018 auch schon gemacht.

Haben Sie Angst um Gregor, Astrid? Es hat zuletzt viele schwere Stürze gegeben: der viermalige Tour-Sieger Christopher Froome oder der Sieger der Tour 2018 Thomas.  

Passieren kann immer etwas. Aber das gilt für das ganze Leben. Gregor beherrscht das Rad so gut, dass ich ihm da voll und ganz vertraue.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wo stehen Sie in zehn Jahren, Gregor?

Da seh’ ich mich vor dem Start zur Tour 2029 und einem Tour-Etappen-Sieg in der Tasche. Ich hoffe, dass ich noch immer Radfahrer bin. So lange es mir Spaß macht, kann ich erfolgreich sein.

Wahrscheinlich haben Sie dann auch Kinder mit Astrid. Sie beide haben sich kürzlich verlobt.  

Das kommt ganz drauf an, was die Chefin sagt. Aber ich hoffe schon. Eine Familie wäre das Tüpfelchen auf dem i.