"Nicht jeder Baum hat das Zeug zum Christbaum!"
Von Andreas Bovelino
Damit hätten Fanny von Arnstein und Henriette von Nassau-Weilburg wohl in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet: 2,8 Millionen Bäume für einen ganz besonderen Tag! Die Damen aus den fernen deutschen Fürstentümern waren der Liebe wegen in Wien, Henriette immerhin mit Erzherzog Karl von Österreich verheiratet, und brachten im frühen 19. Jahrhundert neue Bräuche in die kaiserliche Metropole an der Donau. Zum einen das Christkind. Und zum anderen den Weihnachtsbaum.
Schrecklich lutherisch, natürlich, aber dann doch wieder so beeindruckend mit den Lichtern und dem Duft und den goldenen Nüssen und Äpfeln dran, dass die katholischen Habsburger quasi auf Anhieb begeistert waren. Mit ihnen selbstverständlich auch die braven Untertanen. Die bis dahin im Zentrum stehenden Krippen-Darstellungen wurden zur Seite gerückt, um Platz für das glitzernde neue Symbol der Weihnacht zu machen. Schon um 1830 war der Christbaum in Wien so beliebt, dass es öffentliche Verkaufsstellen direkt beim Schottentor gab.
Aber: Bäume in Millionenzahlen abschneiden, um sie herauszuputzen und zwei Wochen später wieder wegzuschmeißen – ist das nicht pure Verschwendung? „Keinesfalls“, sagt Christbaum-Bauer Franz Raith, „denn diese Bäume sind auch ein Wirtschaftsfaktor. Und viele kleine bis mittlere Landwirtschaftsbetriebe könnten ohne dieses zusätzliche Standbein gar nicht überleben. Was negative Auswirkungen für alle hätte, weil es ja gerade diese Bauern sind, die für die extrem hohe Qualität österreichischer Lebensmittel sorgen. Aber neben dem wirtschaftlichen gibt es auch noch einen wichtigen anderen Aspekt: den Klimaschutz.“
Christbaum macht KlimaFranz Raith meint damit die vielen Jahre, die ein Christbaum wächst und zur Reinigung der Luft ebenso beiträgt wie zur Temperatur- und Feuchtigkeitsregulation. „Klimaschutz ist ein globales Anliegen, klar. Aber die heimischen Bäume sorgen halt auch ganz konkret dafür, dass wir hier im Land eine gute Luft haben.“
Seit 25 Jahren baut er im Waldviertel jetzt schon Christbäume an, früher hatte er als Landwirt auch noch Weizen und Raps, damit ist aber seit drei Jahren Schluss. „Schaun S', ich werd bald 70. Da muss ich schön langsam ein bissl langsamer machen“, sagt er und lächelt. Die Bäume? Nein, die werde er wohl nie ganz aufgeben. Immerhin spricht er mit ihnen. „Ich glaub, das sollte man. Ich lobe sie, frag, wie's ihnen geht – manchmal schimpf ich auch ein bissl.“ Er streichelt sie, oft sogar, aber das hat andere, konkrete Gründe: „Ich kann spüren, wie's ihnen geht, sind sie elastisch genug oder spröde, stimmt etwas mit der Feuchtigkeit nicht oder mit den Nährstoffen?“
Zehn bis zwölf Jahre dauert es, bis ein Christbaum bereit für seinen großen Auftritt ist. Da steckt einiges an Ansprache und jede Menge Streicheleinheiten drin. Und auch ganz konkrete Baumerziehungsarbeit: Unerwünschte Triebe müssen gekappt, der Wuchs des Baumes reguliert werden. „Nicht jeder Baum hat das Zeug zum Christbaum“, sagt Franz Raith. Und er muss es wissen. Die Bäume, die er „erzogen“ hat, haben es immerhin bis ins Brüssler EU-Parlament und an den jordanischen Königshof geschafft.
Eine erstaunliche Karriere
Praktisch auf der ganzen Welt werden heute Bäume geschmückt, als ob es immer schon so gewesen wäre. Die unglaublich ausladenenden und dichten Bäume der Amerikaner etwa – ur-amerikanisch? Nein, Mitte des 19. Jahrhunderts brachten deutsche Einwanderer den Brauch mit in die Neue Welt.
In Italien hieß man den Weihnachtsbaum überhaupt erst im Lauf des 20. Jahrhunderts willkommen. Auf dem Petersplatz in Rom wurde 1982 der erste offizielle Baum aufgestellt. Auch in Österreich bedeutete der Siegeszug des Weihnachtsbaums in Wien nicht automatisch, dass das ganze Land ihn gleich willkommen hieß. In ländlichen Gebieten dauerte das teilweise bis nach dem Zweiten Weltkrieg.
Und sogar in DER Familie, die den Baum hier bekannt machte, war einer wenig überzeugt. Nach dem Besuch bei seiner Schwägerin Henriette von Nassau-Weilburg klagte Erzherzog Johann von Habsburg: „Abends ging ich zu Bruder Carl ... Obgleich ich Freude hatte, alle die Kleinen, welche die Hoffnung des Hauses ausmachen, zu sehen, so verstimmte mich gleich die große Hitze durch die vielen Lichter des Baums. In früherer Zeit gab es ein Kripperl – sonst aber nichts. Nun ist kein Kripperl mehr! Wir sahen einen Christbaum mit vielem Zuckerwerk und Lichteln und ein ganzes Zimmer voll Spielereien aller Art ... welches in wenigen Wochen zerschlagen, zertreten sein wird und welches gewiß tausend Gulden gekostet.“
Hoppla, solche Klagen kommen einem fast bekannt vor. Sei’s drum, Miesepeter gab es wohl in jedem Jahrhundert. Der Baum kann nichts dafür. Wir wollen ihn umarmen, streicheln, ihn loben – und für ihn singen!
O Tannenbaum ... So treu sind deine Blätter!
Franz Raith, Obmann der Niederösterreichischen Christbaumbauern, pflanzt und pflegt nicht nur Christbäume, er weiß auch, wie sie besonders lange halten. So bleibt der Weihnachtsbaum lange frisch und grün:
1 Fragen Sie, wo die Bäume herkommen. Einheimische Ware hat Vorteile: Kurze Transportwege sind für die Umwelt wichtig – und auch für die Bäume. Sie sind frischer.
2 Falls Sie den Baum schon früher zu Hause haben, lagern Sie ihn bitte nicht in der geheizten Garage. Er braucht es kühl und möglichst feucht.
3 Eine kleine Investition in einen Christbaumständer lohnt sich. Sieht besser aus als unsere Christbaumkreuze – und am besten nimmt man einen mit Wasserreservoir. Denn die Wasserversorgung ist die einzige effektive Methode, das Leben des Baums zu verlängern. Dafür sorgt er dann auch für ein gutes Raumklima und Nadelduft durch seine ätherischen Öle.
4 Bitte keinen Lebend-Baum kaufen. Der Wurzelballen ist meist zu klein, um sein Überleben zu sichern, und durch die plötzliche Wärme des Zimmers, glaubt er, es ist Frühling. Das ist „Baumquälerei“.