Bildschirmzeit: Warum Handy & TV doch nicht so schädlich sind
Handys machen Kinder dick! Babys schlafen nicht wegen des blauen Licht des Handys! Ständig wird vor dem Bildschirm gewarnt. Jetzt ist die Debatte um einen überraschenden Beitrag reicher: Britische Wissenschafter wollten eine Empfehlung für Bildschirmzeiten abgeben und suchten Beweise dafür, dass Fernseher und Handy der Gesundheit schaden. Doch die Nachweise waren nicht eindeutig.
In ihrer Analyse gingen der Professor für Kindergesundheit, Russell Viner, und sein Team vom Royal College für Kinderärzte (RCPCH) dem Vorwurf nach, Bildschirmzeit sei „Gift“ für Kinder. Sie analysierten dafür mehr als 900 Studien. „Wir fanden mäßig starke Nachweise für einen Zusammenhang von Bildschirmzeit und Übergewicht sowie Depression, auch mit schlechterer Ernährung. Wenig Zusammenhang zeigte sich bei Verhaltensproblemen, Hyperaktivität oder niedrigerem Selbstbewusstsein. Fast keine Verbindung gab es zu Essstörungen oder Selbstmordgedanken.“
Sie halten es für wichtig, dass es grundsätzliche Leitlinien für den Umgang mit Medien gibt, aber sie wollten keine Empfehlungen für Bildschirmzeiten abgeben. Das hat mit einem weiteren Aspekt zu tun – der Frage nach Ursache und Wirkung, erklärten sie im BBC-Interview: „Es lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob die höhere Bildschirmnutzung diese gesundheitlichen Probleme auslöst oder ob Menschen mit diesen Problemen eher Zeit vor dem Bildschirm verbringen.“
RCPCH-Gesundheitsforscher Max Davie sieht die ständigen Warnungen kritisch: „Handys, Computer und Tablets sind eine tolle Möglichkeit, die Welt zu erforschen, aber man gibt Eltern oft das Gefühl, dass irgendetwas falsch daran sei. Wir wollen das durchbrechen und den Eltern sagen: ’Wenn ihr euch bestimmte Fragen stellt und mit den Antworten zufrieden seid, macht so weiter und hört auf, euch Sorgen zu machen.“
Wichtig sei, betonen die Experten, dass die Bildschirmnutzung nicht Schlafen, Bewegung und Familienzeit ersetzt. „Wir wissen, dass das in den Familien ein Graubereich ist und haben daher eine Orientierung für Eltern zusammengestellt.“ Die US-Kinderärztevereinigung hat etwa einen Medienplaner für Familien (auf englisch) zusammengestellt, der alle Aktivitäten wie Schule, Freizeitaktivitäten und Schlafen zusammenrechnet, damit davon die individuelle Bildschirmzeit abgeleitet werden kann.
Eltern sollen sich einige grundlegende Gedanken über ihre Familienleben machen und Regeln mit ihren Kindern besprechen, sind sich die Experten einig:
- Eltern sollen sich Gedanken über ihre eigene Bildschirmnutzung machen, ob sie unbewusst zu viel Zeit damit verbringen.
- Mahlzeiten sind eine gute Gelegenheit für ungestörtes Reden ohne Handy und TV.
- Unbestritten bleibt, dass die Stunde vor dem Schlafengehen für Kinder bildschirmfreie Zeit sein soll.
- Jüngere Kinder brauchen persönliche Interaktion und Bildschirme können das nicht ersetzen.
Die Wissenschafter fordern mehr Forschung über die Inhalte und deren Auswirkung auf die Gesundheit. So warnte erst kürzlich eine Studie, dass 14-jährige Mädchen doppelt so gefährdet sind wie Buben, dass bei ihnen soziale Medien und Depressionsanzeichen zusammenhängen. Schließlich gebe es auch sehr sinnvolle Programme, ergänzt Viner: „Bildschirme sind ein Teil des modernen Lebens. Dieser Geist ist aus der Flasche gekommen und wir können ihn nicht mehr zurückstecken.“
Uni Graz sucht Teilnehmer für Smartphone-Studie
Tablets und Smartphones gehören zum Alltag von Eltern und damit auch zu dem ihrer Kinder. „Schon 18 Monate alte Kleinkinder schauen Filme auf YouTube an, Zweijährige spielen mit den Smartphones der Eltern“, sagt Catherine Walter-Laager, Professorin für Elementarpädagogik der Universität Graz. Anders als bei Erwachsenen sind die Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder weniger erforscht. Ein Team der Uni Graz hat gemeinsam mit der MedUni Graz ein Projekt zur Erforschung des Medienkonsums von Kleinkindern gestartet. Gesucht werden Teilnehmer – Kinder im Alter zwischen 18 und 30 Monaten und deren Eltern – egal, welche Rolle Smartphone und Tablet zuhause spielen. Bei den Kindern werden in unterschiedlichen Situationen – etwa beim Herumtollen, Buchanschauen und bei Medienkonsum – Herzrate und Stresslevel ermittelt, die Eltern müssen einen Fragebogen ausfüllen und das Spielverhalten ihrer Kinder dokumentieren. Für die Teilnahme gibt es pro Familie 70 Euro. Kontakt: kiddiw@uni-graz.at