Leben

Haya Molcho über Leidenschaft

freizeit: Haya, wir haben einander gerade kennengelernt und sind trotzdem per Du. Als Tirolerin kenn ich das. Woher kommt das bei dir?

Haya Molcho: Im Hebräischen gibt es kein Sie, Gott sei Dank. Das war am Anfang schwer für mich in Wien. Ich habe so oder so vor jemandem Respekt, egal ob Du oder Sie. Tiroler sind übrigens sehr offen.

Wieso glaubst du das?

Ich habe es bei meinen Verkostungen für „Spar“ festgestellt. Die Tiroler kommen her und probieren, die Salzburger sind viel zurückhaltender. Einige Menschen glauben ja immer noch, dass Humus Erde ist und wissen nicht viel damit anzufangen.

Die meisten essen ihn mit Fladenbrot.

Da gibt es viel mehr. Wenn man nicht dick werden will, nimmt man Humus als Dip für Gurken oder Karotten. Oder man gibt sautierte Champignons mit Kräutern auf den Humus – oder Faschiertes. Wie bei der Bolognese, nur anders gewürzt mit Kreuzkümmel und Chili. Hühnerleber mit Schalotten passt auch hervorragend dazu. Humus ist so eine Delikatesse.

Deine Augen leuchten, wenn du vom Kochen sprichst. Du hast es dir selbst beigebracht, bist Quereinsteigerin in der Gastronomie und erfolgreich mit deinen Neni-Restaurants in Wien und Zürich. Was ist dein Erfolgsrezept?

Die Leidenschaft. In meiner Familie wurde immer viel und gerne gekocht. Mein Vater war mobiler Zahnarzt in Israel. Er war ein Pionier der Zahnimplantologie. Deshalb sind wir später auch nach Deutschland übersiedelt. Er wurde in Israel oft mit Lebensmitteln bezahlt. Was meine Mutter und meine Oma daraus gemacht haben, war die beste Schule. Die Arbeit macht 80 Prozent des Lebens aus. Ich habe meinen Jungs immer gesagt: „Ihr müsst sie mit Leidenschaft machen.“ Das gilt für jeden Beruf.

Leidenschaft ist aber nicht gleichbedeutend mit Erfolg.

Ich glaube schon. Der Vater von Arik Brauer war Schuster. Aber er war der beste Schuster und hat dadurch Geld verdient. Was du gerne machst, machst du gut. Meine Bedienerin, die putzt. Und sie ist eine stolze Bedienerin, weil ich ihre Arbeit schätze. Wenn sie nicht wäre, könnte ich jetzt nicht hier sitzen. Oft heißt es: „Was ist schon eine Putzfrau, was ist schon eine Hausfrau?“ Es kommt immer darauf an, wie wir die Dinge bewerten.

Hattest du als Mutter von vier Kindern auch manchmal das Gefühl, für deine Arbeit nicht genug geschätzt zu werden?

Damals wurde ich oft gefragt, was ich mache. Mutter sein kam nie richtig gut an. Irgendwann habe ich dann gesagt, dass ich selbständig bin. Die nächste Frage war immer: „Aha, was machst du?“ Und ich habe gesagt: „Ich teile mir die Zeit mit meinen Kindern so ein, wie ich will.“ Ich bin gerne Mutter und habe das Zuhausesein geliebt.

Wann bist du wieder arbeiten gegangen?

Als mein jüngster Sohn Nadiv Bar Mizwa gefeiert hat. Im Jüdischen macht das einen Jungen zum Mann. Nadiv war durch seine größeren Brüder sehr selbstständig. Da habe ich angefangen, was für mich zu machen.

Die große Frage ist: Wie macht man sich selbstständig? Und womit?

Mein Mann Samy hat mich gefragt: „Was machst du wirklich gerne?“ Die Antwort war leicht. Es war immer das Kochen. Dann hat mich eine Freundin gebeten, das Catering für ihr Fest zu machen. Ich wollte ihr das natürlich schenken. Aber sie meinte: „Haya, wenn du kein Geld willst, nehme ich einen anderen Caterer. Du weißt nicht, was du kannst. Es muss dir was wert sein.“ Es war dann so ein Erfolg, ein Selbstläufer von Anfang an. Ich habe nie Werbung gemacht.

Viele sehen dich aber als Marketing-Genie, weil du so oft in den Medien bist.

Viele glauben ja, ich besteche Journalisten, damit sie über uns schreiben. Ich habe noch nie eine Zeitung angerufen. Wir sind sehr authentisch. Ich glaube, dass die Leute deshalb auf uns zukommen – mit Lob und Kritik. Alles, was ich heute beruflich mache, wurde mir angeboten. Mit dem „25hours-Hotel“ mach ich das Neni in Zürich und ab 2014 in Berlin. Auch „Spar“ hat mich angesprochen und nicht umgekehrt.

Du bist auch Kochbuchautorin. Hast du bei so vielen Aufgaben keine Angst, dass die Qualität deiner Lokale leiden könnte?

Wie soll das gehen? Ich bin täglich im „Neni am Naschmarkt“, wenn ich in Wien bin. Dann wird gekostet, was auf den Teller kommt. Wichtig ist mir auch, dass es da keine gerade Linien gibt. Das habe ich auch gesagt, ehe ich für das „Neni“ in Berlin zugesagt habe. Ich will keine Haubenküche, das ist mir zu perfektionistisch. Meine ganze Familie hat wilde Locken. So soll unser Essen sein. Deshalb haben wir auch das „Neni im Zweiten“ aufgegeben. Es hat nicht zu uns gepasst. Wir sind urban, nicht stylisch. Man muss Fehler machen können – und loslassen. Das habe ich getan, als die Zusammenarbeit mit „Spar“ intensiver wurde.

Du vertreibst dort die Produktlinie „Neni am Tisch“. Spannend ist, dass sich dein orientalischer Humus besser als traditioneller Liptauer verkauft.

Ich bin überzeugt, dass es an der Qualität liegt. Unser Humus besteht zu 85 Prozent aus Kichererbsen, und nicht zu 40 oder 50 Prozent wie so oft. Ich nehme auch kein Mehl oder Maizena zum Strecken. Man kann die Leute nicht mehr anlügen. Und meine Tahina, die Sesampaste, die den Humus geschmeidig macht, ist wahnsinnig gut. Ich habe bestimmt in 50 Ländern nach ihr gesucht. Jetzt habe ich die beste.

Wo hast du sie gefunden?

In meinem Lieblingslokal in Israel. Der Chef hat mir die Nummer des Tahina-Produzenten gegeben. Er lebt in einem politisch umstrittenen Gebiet und erst das vierte Taxi wollte mich überhaupt dorthin bringen. Die haben ja alle eine israelische Nummer. Yakop, so heißt der Mann, konnte nicht glauben, dass ich mich traue, zu kommen. Er gehört den Samaritanern an, die eine eigene kulturelle und religiöse Tradition haben. Auch meine Familie meinte, es wäre zu gefährlich, dorthin zu fahren. Aber es hat sich ausgezahlt. Yakop ist jetzt ein Freund und musste eine zweite Fabrik bauen, weil wir ihm so viel Tahina abnehmen.

Du sprichst immer von wir. Drei deiner vier Söhne arbeiten im Unternehmen mit. Birgt das nicht Konfliktstoff?

Meine Familie ist das Wichtigste. Sie lebt, kocht und streitet mit mir. Natürlich sind wir nicht immer einer Meinung, aber wir zerbrechen uns die Köpfe, um eine Lösung zu finden und kehren nichts unter den Teppich. Freunde haben oft geglaubt, dass mein Mann und ich uns bald scheiden lassen. Unsere Gespräche waren so lebendig. Keiner hat uns verstanden, weil wir Hebräisch gesprochen haben. Ich lasse mich erst scheiden, wenn ich mit meinem Mann nicht mehr streite. Weil dann habe ich keine Emotionen mehr, dann ist es mir egal.

Du bist seit 1978 mit deinem Mann Samy, einem bekannten Pantomimen, verheiratet. Warum klappt eure Ehe so gut?

Ich sage immer, dass ich noch verheiratet bin, weil es freiwillig ist. Keiner zwingt mich. Der Philosoph Khalil Gibran beschreibt die Partnerschaft als zwei Säulen, die ein Dach tragen. So habe ich mit Samy gelebt. Jeder steht wie eine Säule für sich, gemeinsam haben wir das Dach. Wir führen eine freie Ehe, die Wahrheit war aber immer wichtig. So sind unsere Kinder aufgewachsen.

Leben eure Söhne in Beziehungen?

Sie haben keine Angst davor. Die Suche nach einer Frau, von der sie glauben, sie könnte auch so denken, ist nicht leicht. Das dauert länger, deshalb sind alle noch Single. Aber irgendwann wird das anders sein – oder auch nicht. Keine Ahnung.

35 glückliche Ehejahre sind eine schwierige Vorgabe.

Möglich, aber die Vorgabe ist auch nett. Unsere Ehe ist vielleicht anders als eine herkömmliche. Aber sie funktioniert. Wir hatten nie Erwartungen, auch bei den Kindern nicht. Keiner war ein guter Schüler. Mir war wichtig, dass die Jungs sozial in Ordnung sind.

Wie sieht dein Mann deinen Erfolg?

Er erzählt in seinen Seminaren oft, was wir in vier Jahren geschafft haben. Wir sind mit Leidenschaft und ohne Angst ins kalte Wasser gesprungen. Es gab auch Momente, wo wir im Lokal geweint haben, weil wir dachten, wir schaffen es nicht und Leute entlassen mussten. Es ist ein Auf und Ab. Aber der Optimismus liegt uns im Blut.

Du hast schon so viel geschafft. Was kommt als Nächstes?

Deutschland ist ein toller Markt. Da möchte ich mit meinem Humus hin. Und auf einer Lebensmittelmesse waren Verantwortliche der US-Supermarktkette „Whole Foods“ begeistert von meinem Humus und nehmen ihn vielleicht. Wir sind alle New- York-Fans. Dort passen wir hin.

Denkst du manchmal auch an ein Leben ohne Arbeit?

Später einmal möchte ich mit Familie und Freunden in einer Art Kommune leben und eine schöne Alte werden – ohne Spritzen und Operationen. Müsste ich morgen sterben, würde ich glücklich sterben. Ich habe so viel gemacht.

Warum denkt eine so lebenslustige Frau wie du ans Sterben?

Der Lieblings-Cousin meiner Kinder ist 2012 mit 29 gestorben. Er war völlig gesund, ist einfach umgefallen. Da gibt es kaum Trost. Mein Sohn Nuriel hat dann gesagt: „Der Dany war so glücklich. Er hat sein Leben gelebt.“ Es gibt 90-Jährige, die todunglücklich sind.