Grünes Gold
Von Eva Gogala
Fast täglich wandert Monsieur Maurice, ein älterer Herr mit Schirmkappe und Wollhemd, durch seinen Olivenhain. Von Baum zu Baum. Betrachtet die Blüten, die Blätter und endlich die Früchte an den knorrigen Bäumen, von denen manche mehrere Hundert Jahre alt sind. Den ganzen Sommer lang geht das so, bis in den Herbst hinein wird es andauern. Bis endlich, Anfang November, die Olivenernte beginnt.
Monsieur Maurice hat seine Ölbäume vom Vater geerbt, und der hat sie wiederum von seinem Vater. Wenn die Oliven reif sind, wird er es genauso wie schon Vater und Großvater machen. Ausgerüstet mit einer kleinen Trittleiter, einem Weidenkorb über der Schulter und einem kleinen Rechen, wird er die Oliven händisch vom Baum „kämmen“, statt sie, was wesentlich zeitsparender aber weniger sanft wäre, mit der Rüttelmaschine vom Baum zu klopfen. Was zu Boden fällt, wird auf Netzen aufgefangen. Noch am selben Tag wird er seine Ernte in der Ölmühle der Kooperative von Mouriès abliefern.
Monsieur Maurice mit seinen Olivenbäumen sorgt dafür, dass das Lebenselixier der Provencalen nicht versiegt. 3,7 Millionen Olivenbäume wachsen in Frankreich, 3.700 Betriebe produzieren das grüne Gold. Das vielleicht beste Öl wird im Herzen der Provence gemacht. In den kleinen Ortschaften in Les Alpilles wie eben in Mouriès, in Maussane-les-Alpilles oder Les Baux. Das mag auch daran liegen, dass hier noch genau so produziert wird, wie vor ein paar Hundert Jahren. Das Öl darf die Herkunftsbezeichnung AOC tragen. Es scheint, als ob die Zeit stehengeblieben wäre.
Auch wenn es vor einem Jahrhundert schon schien, als wäre die Olivenwirtschaft am Ende: „Damals hörte man die Olivenbäume weinen“, erinnert sich mancher alte Bauer heute noch an den großen Frost. In einer Nacht im Jahr 1956 ließ ein Temperatursturz um 20 Grad ein Zehntel der Bäume erfrieren. Doch es war nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang, die Bauern pflanzten neu aus, die Renaissance des Ölbaums gewissermaßen. Keine 24 Stunden dürfen vergehen, ehe die Früchte nach der Ernte weiterverarbeitet werden. Zum milden Öl, das „Onctueuse“ genannt wird, oder zum intensiven „Ardente“, dem „feurigen“, das schon einmal im Hals kratzen kann, wenn man es aus einem Schälchen mit einem Stück Weißbrot auftunkt.
In Steinpressen mit Mühlsteinen aus Granit werden mit einem Hammerzerkleinerer die Oliven zu einer Paste zerquetscht. Die Masse darf nie wärmer als 27 Grad Celsius werden – „kaltgepresst“, damit sich die Geschmacksstoffe nicht verflüchtigen. Danach werden die festen Bestandteile von den flüssigen, also dem Öl und dem Fruchtwasser, getrennt. In einer Zentrifuge scheidet sich das leichtere Öl vom Wasser – das Öl ist gebrauchsfertig. Es wird nicht gefiltert, deshalb finden sich mitunter winzige Schwebstoffe, das Mark, als Bodensatz in der Flasche. Kein schlechtes Zeichen.
Die Ausbeute ist nicht groß: Fünf Kilo Oliven braucht es, um einen Liter Öl zu gewinnen. Je nach Alter und Größe trägt ein Baum bis zu 300 Kilogramm Früchte, meist aber viel weniger.
Für Monsieur Maurice reicht es zum Leben. Seine Hoffnung für die Zukunft: Kein Winter mehr, in dem man die Bäume weinen hört und dass auch seine Kinder noch ihr Auskommen mit den Oliven haben werden.