Ich nehme mir vor ...
Von Christian Seiler
Ich gehe durch Wiens ersten Bezirk und schmiede Vorsätze. Zum Beispiel möchte ich mich gern überraschen lassen. Sehr gern überraschen lasse ich mich von neuen Geschäften oder Lokalen, die plötzlich da sind und so tun, als wären sie schon immer da gewesen, so wie die Weinbar "Heunisch und Erben" auf der Landstraße, wo ich Weine zu trinken bekomme, von denen ich zu Unrecht noch nie gehört habe, oder die neue französische Bäckerei in der Bäckerstraße, in der es angeblich die besten Croissants der Stadt gibt, wenn die Croissants nicht gerade aus sind, aber sie sind immer aus, jedenfalls wenn ich versuche, eines zu ergattern, und meinem Kollegen Florian Holzer, der sonst immer zur Stelle ist, wenn ein frisches Croissant aus dem Ofen geholt wird, ist genau das Gleiche passiert, sodass ich mir vornehme, im nächsten Jahr einmal so zeitig aufzustehen und in die Bäckerstraße zu gehen, dass die Croissants gar nicht aus sein können, dann werde ich euch allen erzählen, wie sie geschmeckt haben.
Außerdem nehme ich mir vor, kürzere Sätze zu schreiben. Ich nehme mir vor, einmal pro Woche an einen Ort zu gehen, den ich noch nicht kenne. Das ist mir im vergangenen Jahr schon ein paarmal gelungen, und ich habe auf diese Weise die interessantesten Straßennamen Wiens kennengelernt: Die Ostbahnbegleitstraße zum Beispiel, als ich von der Seestadt Aspern nach Hirschstetten wanderte; die nicht enden wollende Vorwerkstraße, als ich im Sommer durch die Lobau streifte, mich vor den Nackerten in Sicherheit bringen wollte und schließlich doch nackert ins Entlastungsgerinne sprang; den Kanalwächterhausweg, als ich über den Gaswerksteig von Erdberg Richtung Prater spazierte und mich an der Schallschutzmauer der Ost-Autobahn entlang Richtung Galopprennbahn Freudenau hantelte. Apropos Namen: Zwischen Rennbahn und Lusthaus hat der Imbiss, der früher etwas mit "Gelsen" geheißen hat, einen neuen Namen bekommen: "freude now". Gratuliere.
Ich nehme mir vor, zielloser zu werden und nicht dem Kopf, sondern den Beinen zu gehorchen. Von denen ließ ich mich zum Beispiel von Wien Mitte auf die 1. Haidequerstraße in Simmering transportieren, von wo ich schließlich in völliger Dunkelheit bis zu einem Imbiss weiterirrte, der mir nicht nur ein wohltemperiertes Getränk verkaufte, sondern auch zeigte, wie kreativ man ein Apostroph setzen kann: Er hieß "Würste’l Waggon", Wien XI, Ravelinstraße, und man wies mir aufs Freundlichste den Weg zur U3-Endstation Simmering. Weiters nehme ich mir vor, mir nicht so viel vorzunehmen. Gehen erlaubt das. Gehen verlangt das. Welchen Sinn hat ein Spaziergang, wenn die Abzweigung, die man sich eigentlich vorgenommen hat, weniger interessant aussieht als die, die man stattdessen nehmen könnte? Während man aus der Bahn oder dem Auto immer nur wahrnimmt, was einem im nächsten Moment verloren gegangen sein wird, erlaubt das Gehen jede Kurve, jede Revision alter Pläne, jede bessere anstelle einer guten Entscheidung. Wenn das kein Vorsatz ist, auf den wir uns einigen können.