Leben/Gehen

Christian Seilers Gehen: Guudendaach

Ich passiere den Golfplatz von Lech, um über den Wasserfallweg Richtung Stierlochjoch aufzusteigen, und ich habe genügend Zeit, das Rudel von eleganten Herren zu betrachten, die sich am Abschlag drängen. Keine Ahnung, wo man diese karierten Hosen kaufen kann. Auf freier Wildbahn habe ich solche Prachtexemplare – einer trägt sogar eine Hose in den originalen Burberry-Karos – noch nie gesehen.
Außerdem muss in den Platzregeln vermerkt stehen, dass die Spieler ihre Polohemden in die Hose zu stecken und mit dem etwas zu fest angezogenen Gürtel zu befestigen haben, damit man ihre bevorstehenden Trainingserfolge auf den ersten Blick erkennen kann.
Ein paar Schritte weiter, und ich stehe beim ersten Wasserfall. Die Luft ist feucht von Gischt. Ich gehe auf dem schmalen Weg weiter nach oben, bis ich ein entzücktes Kreischen höre. Es stammt von einer Gruppe von Menschen, die sich gerade über die nächsthöhere Wasserfallstufe abseilen. Vom Abbruch des Felsens, über den der Stierlochbach hinunterstürzt, bis in die Gumpe, in der sich das Wasser sammelt, ist ein Fixseil gespannt, an dem sich die in Neoprenanzügen eingeschlagenen Abenteurer abseilen und ihrer Angstlust mit spitzen Rufen Ausdruck verleihen.
Gebannt schaue ich ihnen zu. Um nichts in der Welt möchte ich ihnen nachklettern, aber der Spaß, den sie aus ihrer Mutprobe beziehen, wirkt beneidenswert.
Über ein paar mit Holz in den Hang geschlagenen Stufen gehe ich weiter bergauf und nehme den Waldweg Richtung Ravensburger Hütte, der mit angenehmer Steigung durch den üppigen Hochwald führt, und ja, es hat genug geregnet: die Farne und Bodengewächse bilden einen tiefgrünen Teppich, aus denen die Nadelbäume nach oben streben.
Nach einer Stunde komme ich an die Baumgrenze. Der Wald dünnt sich aus, und eine verschwenderisch reiche Vegetation begleitet mich auf dem Weg zur Passhöhe: fast ein Meter hoher gelber Enzian, pinkroter Almrausch, Bergblumen in Gelb, Rot, Weiß. Murmeltiere pfeifen.
Sächsische Familien, die auf dem Abstieg sind, grüßen freundlich: Guudendaach. Oben auf dem Stierlochjoch ein Paradies. Hier faltet sich eine Hochebene auf, von der ich bis in die Schweiz hinüberschauen kann, über den Spuller See hinweg, der gerade wenig Wasser enthält, auf die Gipfel rundherum, die beiden Wildgrubenspitzen, die Madlochspitze, den Spuller Schafberg.
Ein paar Pferde weiden hier oben, knapp über 2.000 Meter, und die Arlbergarena lädt zum Bleiben ein, zum Staunen, zum Schauen, und ich bleibe einfach einmal stehen, um das, was ich sehe, wirken zu lassen, jedenfalls bis die nächsten Sachsen kommen, Guudendaach. Auf der Ravensburger Hütte labe ich mich mit einem Stück Kuchen, dann drehe ich um und gehe denselben Weg wieder bergab, Tiefblick nach Oberlech, nach Lech, schließlich nach Zug, wo in der Roten Wand ein denkwürdiges Abendessen auf mich wartet.
Der Golfplatz ist jetzt leer. Ich stelle mich an den Abschlag, stecke mir das Polohemd in den Hosenbund und stelle mir vor, meine Hosen wären kariert. Vielleicht im nächsten Leben.

christian.seiler@kurier.at