Bora-Kapitän Konrad: "Es war ein Problem, dass ich nur Rad fahre"
Von Barbara Reiter
Herr Konrad, wann war klar, dass Ihr Sohn das Zeug zum Profisportler hat?
Der Sohn antwortet selbst.
Patrick Konrad: Als ich auf die Welt gekommen bin.
Wahrscheinlich sind Sie schon mit Trikot geschlüpft.
Wolfgang Konrad: Nein, er ist mit dem Fahrrad vorgefahren (lacht). Ich weiß nicht mehr, ab wann wir vom Spitzensport gesprochen haben. Aber er ist schon bei seinen ersten Rennen gut gefahren. Das haben auch andere gesagt.
Radprofi ist kein leichter Job. Die starke Konkurrenz, Sturzgefahr, hartes Training – haben Sie Ihrem Sohn die Idee nicht ausgeredet?
Wolfgang: Die Anstrengung ist sein Problem, darum muss ich mir keine Sorgen machen. Was die Stürze betrifft, bekommt man einen eigenen Blick. Ich kann schnell abchecken, wer gestürzt ist und wer nicht. Aber Inge, meine Frau, hat Angst, vor allem bei Massen-Sprints.
Im August 2018 ist Patrick bei der Deutschland Tour bei einem Massen-Sprint gestürzt. Wo waren Sie da?
Ich habe es live im Fernsehen mitverfolgt. Im ersten Moment hab ich mir gedacht, okay, statistisch gesehen musste dieser Sturz einmal kommen. Als ich gesehen habe, dass er am Popo und dann auf dem Rücken gelandet ist, hab ich mir gedacht, zum Glück nicht auf die Schulter, sonst wäre womöglich das Schlüsselbein gebrochen
Hat Sie der Sturz in Deutschland aus dem Tritt gebracht, Patrick?
Patrick: Es geht mir sehr gut. Ich bin ja schon am Tag nach dem Sturz wieder auf den neunten Etappenplatz bei der Deutschland Tour gefahren. Meine Motivation ist riesig. Das Glück, eine WM im eigenen Land fahren zu dürfen, werde ich als aktiver Radprofi wohl nur ein einziges Mal haben.
Der 7. Platz beim Giro d’Italia heuer war Ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Grand Tour. Die Strecke sah im Fernsehen manchmal verdammt gefährlich aus. (Anm. Grand Tour: Die drei Hauptrennen der Profis in Europa Tour de France, Giro d'Italia und Vuelta a España)
Patrick: Speziell beim Giro sind die gefährlichen Zielankünfte schon öfter kritisiert worden. Wir hatten zum Beispiel beim Auftakt des Giro in Israel auf einem sechs Kilometer langen Abschnitt sechs Kreisverkehre bergab.
Wolfgang: Und ihr wart da mit 70 km/h unterwegs.
Patrick: In Sizilien sind wir nach einer Abfahrt mit 85 km/h in einen unbeleuchteten Tunnel hineingefahren – mit Brille. Da bleibt keine Zeit, um sich auf die neuen Sichtverhältnisse einzustellen.
Warum achten die Veranstalter nicht besser auf die Sicherheit der Fahrer?
Patrick: Mangelndes Interesse.
Wolfgang: Man muss aber auch sagen, dass Straßen nicht für Radfahrer gebaut werden, sondern für den Individualverkehr. Der Veranstalter sagt: „So ist es.“ Damit muss man sich abfinden.
Sie waren in den 1980er-Jahren wie Ihr Sohn Profi-Sportler. Hindernislauf ist nicht alltäglich. Wie kamen Sie dazu?
Wolfgang: Das ist sogar eine olympische Disziplin. Man ist Mittelstreckenläufer und irgendwann heißt es, wir brauchen einen, der bei den Tiroler Meisterschaften beim 1500-Meter-Hindernisrennen mitläuft. Wenn du dann bei 3000-Meter-Hindernis österreichischen Rekord läufst, das bleibt dir dann.
Glauben Sie, es gibt einen Zusammenhang zwischen Ihrer sportlichen Karriere und der Ihres Sohnes?
Wolfgang: Absolut, und das sollte auch einmal in der hohen Politik diskutiert werden. Alle guten Sportler in Österreich sind deshalb gut geworden, weil sie von zuhause die notwendige Unterstützung bekommen haben. Als der Patrick noch keinen Führerschein hatte, ist der Papa mit ihm pro Jahr 12.000 Kilometer zu den Rennen gefahren. Spitzensportler kommen nie aus den Strukturen der Verbände, es ist immer das Elternhaus. Vielleicht stecken auch ein paar Gene von mir in ihm.
Wurden Sie vom Vater gepusht, Patrick?
Patrick: Ich habe mich immer gerne bewegt und einfach alles ausprobiert.
Wolfgang: Ich bin sicher kein Eislauf-Papa. Und das Rennrad hat er gehabt, weil ich gefahren bin.
Patrick: Mein erstes Rennen war ein Hobby-Kinderrennen in Ebreichsdorf ohne Lizenz. Da habe ich meinen ersten Pokal gewonnen. Aber bei meinem ersten Lizenzrennen bin ich nur abgehängt worden. Da war klar: So leicht wie beim Kinderrennen ist es dann doch nicht, da muss ich hart arbeiten dafür.
Als Sie in den Radsport eingestiegen sind, war Doping ein Riesen-Thema. Hat Sie das nicht abgeschreckt?
Patrick: Natürlich haben die Medien damals nur gepusht, dass der ganze Radsport verseucht ist und eh alle Fahrer manipuliert sind. Ich habe trotzdem gewusst, dass es nicht so ist. Das sieht man ja, sonst würde ich solche Leistungen wie den 7. Platz beim Giro nicht zusammenbringen. Aber es war manchmal schwierig, weil ich mir speziell mit 17, 18 viel anhören musste.
Womit hat man Sie konfrontiert?
Patrick: Zum Beispiel war es ein Problem, dass ich „nur“ Rad fahre. Ich musste mir überlegen, wie ich erkläre, dass mein Beruf angehender Radprofi ist. Mittlerweile hat sich aber vieles geändert. Radfahren ist quasi das neue Golf. Jeder hat ein Radl um ein paar tausend Euro daheim, Radlwäsch’, Helme, Brillen, Schuhe ... Der Sport wird immer populärer. Das ist meine Chance als Radfahrer, den Leuten nicht nur große Rennen näherzubringen, sondern auch die Österreichische Meisterschaft am Kahlenberg.
Ihr Vater weiß am besten, wie man Leute an die Strecke bringt. Kann man die Erfolgsstrategien des Wien-Marathon auf den Radsport übertragen, Herr Konrad?
Wolfgang: Natürlich! Als ich als 17-Jähriger durch Innsbruck gelaufen bin, war ich der Depp. Dann hat es die Generation mit Millonig, Nemeth und mir gegeben und die Meinung zum Laufen hat sich geändert. Der Patrick ist in eine blöde Zeit hineingeraten, wo die Seuche, wie ich sie bezeichne, am schlimmsten war. 2008 gab es nach dem Fall Kohl keine Chance, international in einen Profi-Rennstall zu kommen, heute gibt es zehn Profis aus Österreich, die bei der World Tour (Champions League der Radler) mitfahren. Wenn die Sportler beweisen, dass sie was können, werden die Medien und das Publikum wieder mitspielen.
Begleiten Sie Ihren Sohn regelmäßig zu den Rennen?
Wolfgang: Vergangenes Jahr war ich beim Finale der Tour in Paris und beim Giro am Stilfser Joch. Heuer war ich nirgendwo, weil ich das nervlich nicht ausgehalten hätte. Ich rege mich immer so auf. Außerdem sieht man im Fernseher einfach mehr. Live vor Ort macht es schwupp und das ganze Feld ist vorbei. Und ich denke mir: Wo war jetzt der Patrick? Dann bin ich 1.000 Kilometer umsonst gefahren.
Haben Sie den Aufstieg Ihres Vaters zum großen Veranstalter des Wien-Marathon als Kind wahrgenommen, Patrick?
Patrick: Ich war als Kind immer gerne beim Wien-Marathon, weil mir der Trubel gefallen hat. Mittlerweile ist mein Rennkalender so dicht, dass ich die letzten drei Jahre nicht dabei sein konnte.
Könnte man auf Radrennen in Dubai und im Oman nicht verzichten?
Patrick: Die großen Veranstalter schauen sich nach neuen Veranstaltungsorten und Geldgebern um. Dann gibt es eben die Abu Dhabi Tour, wo wir auf der Formel-1-Rennstrecke fahren.
Bei 178 Grad.
Patrick: In Abu Dhabi regnet es nur etwa sieben Tagen im Jahr. Vergangenes Jahr haben wir vier davon erwischt. Aber das war bei 50 Grad gar nicht so unangenehm.
Sind solche Temperaturen nicht schlicht eine Quälerei?
Patrick: Dann fahren die Fahrer halt langsamer – und du brauchst jede halbe Stunde zwei Liter Wasser. Einen leerst du dir über den Kopf, den anderen trinkst du.
Wolfgang: Derzeit ist das stärkste Thema bei Veranstaltungsorten aber Asien, weil dort Geld absolut keine Rolle spielt.
Patrick: Vergangenes Jahr hat es zum ersten Mal ein World-Tour-Rennen in China gegeben, heuer auch in Japan. Die haben unglaublich viel Geld investiert, um die Landschaft entlang der Rennstrecke zu verschönern.
Wolfgang: Und die Fassaden.
Patrick: Die Häuserfassaden wurden über Hunderte Kilometer neu gemacht. Aber nur auf der Seite, die man beim Rennen im Fernsehen gesehen hat. Die Rückseite ist grau geblieben. Wie in Hollywood. Es hat auch Streifen gegeben, wo nichts gewachsen ist. Die wurden einfach grün angesprüht, damit es nach Gras aussieht. Anscheinend wurden 30 Millionen Dollar investiert. Es ist auch so, dass in Sizilien vor dem Giro und In Frankreich vor der Tour Straßen neu asphaltiert werden.
Was glauben Sie Herr Konrad: Wie groß ist Ihr Anteil an Patricks Erfolgen?
Wolfgang: Gering. Ich wurde einmal gefragt, ob ich Patricks Manager bin und er hat darauf geantwortet: „Nein, der Papa ist der Berater in schwierigen Situationen.“ Denn da hat es immer geholfen, wenn wir uns ausgetauscht haben. Aber die Entscheidungen hat er getroffen und die Leistung, die er heute abruft, ist auch nicht auf meinem Mist gewachsen.
Können Sie sich noch an eine schwierige Situation erinnern, in der Sie sich ausgetauscht haben?
Patrick: Das war, als ich bei der Tour de l'Avenir („Tour der Zukünftigen; Mini-Tour-de-France für die Altersklasse U23), Dritter geworden bin. Ich war auch bei der WM unter den Top Ten und bei den U-23-Rennen immer vorne. Wenn man das früher alles vorweisen konnte, war klar, dass man Profi wird. Ich musste trotzdem nach Österreich zurück, weil damals einige Teams zugesperrt haben. Plötzlich waren hundert Profis auf dem Markt und da hat es ein Österreichier nicht leicht, sich für ein Team zu empfehlen. Ich war 23 und habe gesagt: Okay, dann gehe ich zurück und fahre in einem drittklassigen Profi-Team.
Wolfgang: Das Gespräch war ein bissel anders. Du warst extrem enttäuscht, weil du keinen Profi-Vertrag bekommen hast. Ich habe dir dann geraten, wieder nach Österreich zurückzugehen, aber du hast gesagt: „Sicher nicht, da will ich nimma hin.“
Patrick: Ja stimmt. Dann haben wir beschlossen, dass ich die Österreich-Rundfahrt als Kapitän fahre. Nach dem 3. Platz auf der Glockner-Etappe habe ich meinen Profi-Vertrag bei BORA hansgrohe bekommen. Deshalb war dieses Rennen das Entscheidendste meiner Karriere. (Konrad belegte Platz 4)
Für einen Österreicher kein schlechtes Omen, den Grundstein für die Karriere bei der Österreich-Rundfahrt zu legen. Wie wäre es in Zukunft mit sieben Tour-Siegen wie einst Lance Armstrong?
Patrick: Das wäre eine schlechtes Vorbild.
Wolfgang: Und wird am besten gar nicht erwähnt.