Die durchdringende Kunst von Rebecca Horn: Virtuelles Erlebnis für alle Sinne
Von Tamara Gaider
Ein zerrüttetes Klavier, das von der Decke hängt, Schaukeln, die wie von Zauberhand angetaucht werden und dieses zischende Geräusch von Kabeln, die sich ganz plötzlich entzünden: Im Bank Austria Kunstforum Wien scheint es, als hätte sich in der Ausstellung Rebecca Horn eine Menge kunstvoller Kuriositäten versammelt, die uns einen Schrecken einjagen sollen.
Zugegeben: Mein Kollege und ich sind schon überrascht, als wir die weitläufigen Räume betreten und das beschädigte Instrument, das an der Decke hängt, plötzlich eine Melodie von sich gibt. Kurz darauf kehrt wieder Stille ein, bevor auf der anderen Seite des Raumes dumpfe Geräusche unsere Neugierde wecken. Gleichzeitig schrillen unsere natürlichen Alarmglocken.
Schnell fragen wir uns: Soll diese Kunst provozieren oder steckt etwas anderes hinter den komplexen Werken, die Rebecca Horn im Ausstellungshaus auf der Wiener Freyung zur Schau stellt?
Die Antwort wird erst auf den zweiten Blick klar, wenn man die Botschaften an den Wänden entdeckt. Sie lassen erahnen, dass sehr wohl jedes Objekt, das Rebecca Horn erschaffen hat, eine Message besitzt, die zum Nachdenken anregen soll.
So steht im Raum, in dem das Klavier von der Decke hängt, fast unscheinbar an der Wand geschrieben: "Das Piano ist hier nicht einfach ein Piano (...) Befreit aus der psychiatrischen Anstalt gibt es, von der Decke hängend, sein eigenes, neues Konzert, in dem es eine neue Tonalität entwickelt."
Die Botschaften lassen genau so viel Interpretationsspielraum, dass sie die perfekte Grundlage für Diskussionen über das Leben bieten. Ich will augenblicklich über allgegenwärtige Themen philosophieren - über uns Menschen, die Auswirkungen unserer Handlungen und den Sinn des Lebens im Allgemeinen.
Tragische Begeisterung für den menschlichen Körper
Sieht man sich Rebecca Horns Lebensgeschichte genauer an, bekommt auch ihre Kunst eine tiefere Bedeutung: Die 77-Jährige hat im Laufe ihrer Karriere viel mit Stoffen wie Polyester gearbeitet, wusste damals allerdings noch nicht, wie giftig die Dämpfe der Kunststoffe waren. Infolgedessen erkrankte sie an einer schweren Tuberkulose.
Dieses Leiden zwang sie, ein Jahr lang in einem Sanatorium in völliger Isolation zu leben. Der Aufenthalt wurde schlussendlich zu einer ganz speziellen Therapie für sie selbst, denn sie setzte sich intensiv mit ihrem eigenen Körper auseinander - und verarbeitete das sichtlich in den Werken, die sie nach ihrem Aufenthalt erschuf.
Die Ästhetik der Schönheit und die der Hässlichkeit, das Rollenspiel zwischen Femme fatale und Femme fragile, Verfestigung und Auflösung, labile Stabilität, in die Immaterialität gleitende und dabei höchst konzentriert gebaute Materialität, zerschmettertes Ganzes: Seit den frühen 1970er-Jahren erobert Rebecca Horn die Welt in immer neuen Dimensionen.“
Virtuelle Führungen & 360-Grad-Rundgang
Die Besichtigung ist allerdings nicht nur jenen Personen vorenthalten, die sich in Wien befinden: Auch wer es nicht persönlich ins Bank Austria Kunstforum Wien schafft, kann sich die aktuelle Ausstellung anschauen - und das gemütlich von zu Hause aus.
So gibt es digitale Live-Streams, in denen Sie durch die Räume geführt werden und von Kuratorin Bettina M. Busse erfahren, wie das Ausstellungsprojekt der Künstlerin in enger Zusammenarbeit mit dem Workshop und der Stiftung Rebecca Horn entstanden ist. Zusätzlich kommen spannende Gäste wie z. B. Schriftsteller Peter Stephan Jungk zu Wort.
Außerdem gibt es zu dieser und einigen anderen Ausstellungen einen Videopodcast, in dem Sie spannende Details über die Lebensgeschichte und die daraus resultierenden Erfolge der KünstlerInnen erfahren können.
Meine Maschinen sind keine Waschautomaten. Sie besitzen fast menschliche Eigenschaften und müssen sich auch verändern. Sie sind nervös und müssen auch manchmal innehalten.
Fazit: Ein Besuch, der in Erinnerung bleibt
Beim Ausgang wird mir noch einmal bewusst, wie gut ich es finde, dass Rebecca Horn nicht dem Ratschlag ihrer Eltern gefolgt ist. Denn sie hat das Volkswirtschaftsstudium, das sie ihr ans Herz gelegt haben, abgebrochen. Die Bereiche, die Ihre Leidenschaft sichtlich entfachen, hat sie schlussendlich studiert. Und sie widmet ihnen auch heute noch ihr Leben: Kunst und Philosophie.
Ich nehme nicht nur viele Eindrücke, sondern auch viele Denkanstöße mit. In der Ausstellung selbst werden kurze Videos gezeigt, im Untergeschoss befindet sich sogar ein kleines Kino. Im Bank Austria Kunstforum Wien kann man die Werke von Rebecca Horn also bestimmt nicht nur betrachten, sondern mit allen Sinnen erleben. Und zwar noch bis zum 23. Jänner 2022.
Tamara Gaider