Wo Wohnungslose in Wien Wellness erleben können
Rainer macht an diesem Montagvormittag das, was er auch an einem „normalen“ Arbeitstagen tut: Er wäscht Haare. Aber nicht wie sonst mit Brauseschlauch in seinem Friseursalon in Neubau.
Sondern in einem begrünten Innenhof an der Rechten Wienzeile auf der Wieden. Mithilfe einer Gießkanne.
Friseur Rainer ist mit zwei Kolleginnen am Standort des Sozial-Vereins M.U.T. (steht für Mensch, Umwelt, Tier) zu Gast. Der Anlass: der „Ladys Beauty Day“. Die sechs Frauen, die er an diesem Tag unentgeltlich verschönern wird, haben eines gemeinsam: Ihnen fehlt ein fester Wohnsitz.
Der Schönheitstag bietet ihnen, was beim Leben auf der Straße in der Regel zu kurz kommt: Es sich einmal einen Tag gut gehen zu lassen. Zum Friseur zu gehen, sich schminken und die Nägel machen zu lassen.
Für Experimentierfreudige gibt es sogar eine Einheit Shiatsu - eine Form der japanischen Körpertherapie.
Silvia nutzt diese Chance, um ihr Blond auffrischen zu lassen. Sie sitzt auf einer Couch im Schatten und raucht. Ihre Haare sind mit weißlicher Farbe eingespachtelt.
„Zwei Minuten noch“, sagt Friseurin Doris zu ihr.
Rainer mischt bereits in einer Gießkanne heißes Wasser aus dem Elektrokocher mit kaltem aus dem Schlauch – eine Mischbatterie gibt es im Hof nicht.
Silvia neigt ihren Kopf in das mobile Waschbecken, dann waschen Rainer und Doris mit dem Wasser aus der Kanne die Farbe aus dem Haar.
Die Arbeit am Schönheitstag unterscheide sich – abgesehen von der Ausstattung – kaum von einem Arbeitstag, wie ihn Rainer sonst hat
„Die Kundinnen sind genau wie im Shop auch“, erzählt er dem KURIER.
Im Fall von Silvia heißt das: Sie hat konkrete Vorstellungen, was sie will: „Kurz schneiden“, sagt sie. „Kurze Haare sind besser für mich.“
Einmal wahrgenommen werden
Die Idee für die Aktion stammt von Alexander Maier, Vize-Obmann bei M.U.T. „Wir haben bei Verteilen von Sachspenden bemerkt, dass es nicht nur an Geld und Obdach fehlt“, erzählt er. „Die Leute leiden auch sehr darunter, dass sie nicht wahrgenommen werden.“
Die regelmäßig stattfindenden Schönheitstage sollen das ändern. Sie ermöglichen den Obdachlosen soziale Begegnungen auf Augenhöhe, erzählt Maier im KURIER-Interview.
Dieses Mal hat der Verein Klientinnen aus dem städtischen Tageszentrum „Obdach Ester“ in Mariahilf eingeladen. Dort können bis zu 60 Wohnungslose duschen, Wäsche waschen und sich ausruhen. Zur Ester haben nur Frauen Zugang. Viele von ihnen haben Erfahrungen mit Gewalt von Männern.
Weg von den Eltern
Die Lebensgeschichten, die die Frauen in dem improvisierten Salon erzählen, unterscheiden sich daher stark von jenen, die Rainer und seine Kolleginnen sonst zu hören bekommen. Wie etwa jene von Jasmin.
„Ich bin seit 2013, als ich bei meinen Eltern ausgezogen bin, wohnungslos“, sagt die 32-Jährige. Im Winter schlafe sie in Notunterkünften. „Dort ist es jetzt zu heiß. Ich bleibe daher draußen.“
Auf dem Boden um sie herum liegen büschelweise braune Locken.
Damit Jasmin die Hitze besser erträgt, schert ihr Rainer einen Undercut (Frisur, bei der ein Teil der Haare rasiert wird). Und färbt ihre Haare dunkelbraun.
Wie der Struwwelpeter
Viele Obdachlose würden „wie der Struwwelpeter“ aussehen, sagt sie. „Die pflegen sich nicht und die Leute halten sie für gefährlich.“ Sie wasche sich im Tageszentrum, sagt Jasmin. Beim Friseur war sie aber schon länger nicht.
Einen Schönheitstag hatte Jasmin noch nie. Nach Schneiden und Färben kann sie sich jetzt sogar vorstellen, eine Schlammmaske auszuprobieren.
Hintergrund
Der Wiener Verein M.U.T. bietet Unterstützung für Obdachlose. Friseure, Kosmetiker und Stylisten, die den Verein unterstützen wollen, werden um Kontaktaufnahme gebeten. Nähere Infos und Kontaktdaten gibt es hier.
Obdach Wien ist der größte Anbieter der Wohnungslosenhilfe der Stadt Wien. Noch im Juli will er ebenfalls Schönheitstage für Obdachlose veranstalten. Fachkundige Unterstützer werden noch gesucht. Nähere Infos und Kontaktdaten gibt es hier.