Chronik/Wien

Wilhelminenberg: Stadt Wien wird Staatsanwaltschaft einschalten

Das Jugendamt (MA 11) hat von den brutalen Übergriffen auf Kinder in den Wiener Heimen bereits in den 1960er-Jahren gewusst. Der Endbericht der Wilhelminenberg-Kommission bestätigt KURIER-Recherchen, nachdem sich bereits damals Eltern massiv über die körperliche Züchtigung ihrer Kinder in Heimen beschwert hatten. Auch Erzieher haben sich wegen der Zustände am Wilhelminenberg an die MA 11 gewandt. Kommissionsleiterin Barbara Helige: „Passiert ist nix.“ Niemand wurde zur Verantwortung gezogen.

Möglich sei, einige ehemalige Erzieherinnen des Wilhelminenbergs der Beitragstäterschaft zu überführen: Sie sollen Mädchen in Zimmer gebracht haben, wo sie von fremden Männern vergewaltigt worden sind. Eine Liste mit etwa 20 bis 30 Namen wurde dem zuständigen Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) übergeben. Wie dieser im KURIER-Interview bestätigt, wird er die Liste an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Weitere ehemalige Heime will er vorerst nicht untersuchen lassen.

KURIER: Welche Schlüsse zieht die Stadt aus dem Bericht der Wilhelminenberg-Kommission?Christian Oxonitsch: Dass es ein richtiger und wichtiger Schritt war, ab den 1970er-Jahren die geschlossenen Institutionen aufzulassen und betreute Wohngemeinschaften einzurichten. Wir haben auch erkannt, dass Kontrollinstanzen versagt haben. Diese müssen mehr geprüft werden. Wir haben daher auch einen unabhängigen Ombudsmann für alle Kinder in den betreuten Wohngemeinschaften geschaffen.

Wird es eine offene Dokumentationsstelle der Stadt geben, in der jeder die Heim-Geschichte nachvollziehen kann, wie von der Kommission gefordert? Das ist eine gute Anregung. Allerdings sind noch viele Fragen zu klären, etwa jene des Datenschutzes. Es ist mir aber sehr wichtig, dass alle relevanten Daten für die Betroffenen einsehbar sind. Es gibt keine Alternative zu Offenheit und Transparenz.

Die Kommission hat auch angeregt, den gesamten Bericht der Staatsanwaltschaft für weitere Ermittlungen zu übergeben. Werden Sie dem nachkommen?

Selbstverständlich. Der Bericht ist eine wesentliche Grundlage für Ermittlungen und wird in einer entanonymisierten Form an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

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Die Stadt hat viele Heime betrieben, zum Teil auch an Standorten außerhalb Wiens. Auch dort gibt es ähnliche Vorwürfe wie am Wilhelminenberg. Wird nun auch für andere Heime eine Kommission eingesetzt?

Ich stehe nicht an zu sagen, dass es eine grundlegende Systematik in den Heimen gegeben hat. Es hat psychische, physische und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gegeben. Es gibt heute niemanden mehr, der das bestreitet. Allerdings gäbe es für eine neue Kommission daher auch keinen neuen Erkenntnisgewinn.

Wie kann man den Opfern von damals heute helfen?

Genau wie wir das bereits tun. Mit einem Bekenntnis zur Transparenz. Wir haben 31,5 Millionen für Therapien und materielle Hilfe bereitgestellt. Wir haben uns aber auch der Verantwortung zu stellen, dass so etwas heute nicht mehr passieren darf.

Wer wird sich bei den Opfern entschuldigen?

Wir haben uns bereits im Oktober 2010 bei allen Missbrauchsopfern entschuldigt und diese Entschuldigung jetzt wiederholt. Wir werden uns aber auch brieflich an all jene wenden, die sich bei der Kommission gemeldet haben und uns entschuldigen.

Sämtliche Heimakten des Wilhelminenbergs wurden 1977 illegal vernichtet. Gibt es Möglichkeiten herauszufinden, warum damals Dienstbücher, Krankenakten und ähnliche Aufzeichnungen so überstürzt vernichtet wurden?

Nachdem sich die Wilhelminenbergkommission entscheidend damit auseinandergesetzt hat und nichts eruieren konnte, wage ich das zu bezweifeln. Aber auch diesem Punkt wird mit den Prüfinstanzen der Stadt nochmals besondere Aufmerksamkeit zu widmen sein. Keinesfalls wird dieser erschütternde Bericht in einer Schublade verschwinden.

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