Wilhelminenberg: „Psychische, physische und sexuelle Gewalt“
Der schändliche Umgang mit Kindern in den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik steht im Mittelpunkt der Forschungsarbeit der Kommission Wilhelminenberg. Am Mittwoch wird Kommissionsleiterin Barbara Helige den Endbericht über das Kinderheim Wilhelminenberg vorlegen.
Auslöser für die Gründung der Kommission war ein KURIER-Interview im Oktober 2011. Zwei Schwestern berichteten darin über ihre Erinnerungen an das von der Stadt Wien geführte Kinderheim im Schloss Wilhelminenberg. Sie schilderten Erlebnisse aus den 1970er-Jahren: Essen von Erbrochenem, schwere Prügel durch einige Erzieherinnen, systematische Demütigungen und sexuellen Missbrauch.
Die Kommission hat mit den beiden und zahlreichen weiteren ehemaligen Heimkindern des Wilhelminenbergs intensive Gespräche geführt. Auch dem KURIER liegen Notizen und Protokolle von ca. 30 ehemaligen Wilhelminenberg-Zöglingen vor. Schilderungen von Gewalt gegen Kinder zieht sich durch alle Erzählungen.
Missbrauch
Bei sexuellem Missbrauch gibt es divergierende Aussagen. Mehrere Betroffene (alle in den 1970er-Jahren in dem Heim in Ottakring) schildern sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen. Andere Zeitzeuginnen können sich an keine sexuellen Übergriffe erinnern. Manche halten diese für „unmöglich“.
Der Endbericht der Kommission Wilhelminenberg, der in den vergangenen eineinhalb Jahren von den vier Kommissionsmitgliedern und einer erklecklichen Anzahl von Historikern und Psychologen erarbeitet wurde, wird noch streng unter Verschluss gehalten. Erste Einblicke kann man aber dem „3. Zwischenbericht der Kommission Wilhelminenberg“ aus dem Oktober des Vorjahres entnehmen.
Dort heißt es: „Im Kinderheim Wilhelminenberg kam es über die Jahrzehnte zur Ausübung physischer, psychischer und sexueller Gewalt. Nach den bisherigen Erhebungen richtete sich die sexuelle Gewalt ab Mitte der 60er-Jahre hauptsächlich gegen Kinder im Alter unter zehn Jahren.“ Und: „Die bisherigen Erkenntnisse über das Kinderheim Wilhelminenberg decken sich damit mit den im Rahmen der Historikerkommission von Prof. Reinhard Sieder bereits veröffentlichten Forschungsergebnissen.“
Der Sozialhistoriker Sieder hat seine Studie über die Gewalt in Erziehungsheimen der Stadt Wien vor einem Jahr präsentiert. Auch dort ist sexuelle Gewalt ein zentrales Thema: Eine Frau schildert, wie sie dem Hausarbeiter des Heimes Wilhelminenberg sexuell zu Diensten sein musste. Ein Mann erklärt, im Heim Wimmersdorf, NÖ, sei es zu Vergewaltigungen durch Mitzöglinge gekommen. Ähnliches berichtet ein Zögling aus dem Heim Eggenburg, NÖ. Dort sei er sexueller Gewalt von Erziehern und älteren Burschen ausgesetzt gewesen.
Hintergründe und Kommentare zum Thema Heimskandal unter kurier.at/heimskandal
Entschädigungen
Die Stadt Wien beauftragte im Jahr 2010 den Weissen Ring mit der Betreuung ehemaliger Heimkinder. 1713 haben sich seither an die Organisation gewandt. An rund 1200 ehemalige Heimkinder zahlte die Stadt Wien 21,2 Millionen Euro an Entschädigungen nach Übergriffen in Heimen aus.
Therapie
Weiters wurden für die Betroffenen bisher 60.000 Psychotherapie-Stunden genehmigt. Rund 20 Prozent davon wurden bereits in Anspruch genommen.