Chronik/Wien

Werkstattbesuch: Wo die Wiener Bim-Schienen herkommen

Eigentlich nimmt man sie kaum wahr, die Straßenbahngleise, die sich wie Lebensadern durch Wien ziehen. In der großen Halle der Oberbauwerkstätte der Wiener Linien in Simmering bekommen sie - und die dazugehörigen Weichen - dafür umso mehr Aufmerksamkeit. Denn hier nimmt der Lebenszyklus der Schienen seinen Anfang. 420 Kilometer Gleise liegen in Wien auf den Straßen, das macht das hiesige Bim-Netz zum sechstgrößten weltweit.

Doch auch die beste Schiene hat ein Ablaufdatum, je nach Belastung liegt ihre Lebensdauer zwischen zehn und 45 Jahren. Schließlich werden sie täglich von 489 Straßenbahnen und unzähligen Autos befahren. Doch aus der Fertigungswerkstätte der Wiener Linien kommt laufend Nachschub und Ersatz - um genau zu sein 8,6 Kilometer Gleise im Jahr 2024. Das entspricht einem ausgedehnten Spaziergang von der Staatsoper bis Alt Erlaa.

Von Station zu Station

Eine der 110 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in der Gleisfertigung dafür verantwortlich sind, ist die erst 19-jährige Anna Grbic. Der selbstbewusste Lehrling im dritten Ausbildungsjahr steht kurz vor der Abschlussprüfung und führt entspannt durch ihren weitläufigen Arbeitsplatz. "Ohne Schienen geht gar nichts", sagt sie und lacht. Das gilt selbst für die Produktionshallen. Auch hier verlaufen schmale Gleise, auf denen Schienenstücke von Station zu Station befördert werden. Und davon gibt es einige. 

Zuerst kommen die Rohlinge, die von der Voestalpine per Bahn angeliefert werden, in die Sägeanlage, wo die einzelnen Schienen auf Maß geschnitten werden. Weggeworfen wird nichts - was übrig bleibt, wird von der Voestalpine eingeschmolzen und zu neuen Schienen verarbeitet.  "Wir arbeiten hier nachhaltig", sagt Anna, streift sich Arbeitshandschuhe über und schiebt einen Wagen mit einer langen Schiene aus dem Weg. Der Lärm in der Halle lässt sie völlig unbeeindruckt, an den Wänden hängen trotzdem Ohropax-Spender. 

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Keine Männerdomäne mehr

Es geht weiter zur nächsten Station: der Biegemaschine. Denn natürlich müssen auch die Kurven im Straßennetz berücksichtigt werden. Anna passt die Einstellungen am Display an und drückt auf den Knopf. Wenige Minuten später ist die Schiene perfekt gebogen. Was früher in schweißtreibender Handarbeit erledigt werden musste, wird heute vielfach durch Maschinen und Computerunterstützung erleichtert. 

Was seinerzeit also als Männerdomäne galt, hat damit keine begrenzenden Faktoren mehr. War Anna noch die erste weibliche Auszubildende im Gleisbau, so ist die Zahl inzwischen sukzessive gestiegen. Im kommenden Lehrjahr sind es bereits sechs junge Frauen, die ihre Ausbildung beginnen.

Nach dem Biegen wird das Schienenprofil gefräst. Danach geht es in die Montagehalle, deren Boden mit Lärchenholzbohlen ausgelegt ist. Hier werden die einzelnen Schienen und Weichen zu Gleisanlagen zusammengeschweißt. Die Weichen sind übrigens allesamt Sonderanfertigungen und Unikate. 1.100 Weichen sind in Wien verlegt und keine gleicht der anderen. 

Von hier aus werden die bis zu 16 Tonnen schweren Gleisanlagen mit Spezialtransporten an ihren Bestimmungsort in der Stadt gebracht. Die Anlage, bei der unter den Schweißgerät gerade noch die Funken flogen, wird auf der Strecke der neuen Straßenbahn-Linie 12 verlegt. Anna ist stolz auf ihre Arbeit: "Ich wollte etwas Sinnvolles machen. Und hier arbeite ich daran mit, die Stadt zu verändern. Manchmal fahre ich mit der Straßenbahn und denke mir, an diesen Schienen habe ich mitgearbeitet."