Stadt blockiert Skandal-Aufarbeitung
Die Wilhelminenberg-Kommission, die die schweren Missbrauchsvorwürfe aus den 1950er-, ’60er- und ’70er-Jahren im gleichnamigen Wiener Kinderheim aufklären soll, fühlt sich in ihrer Arbeit von der Stadt Wien behindert. Wichtige Akten der Personalabteilung der Stadt, die zur Klärung der damaligen Zustände im Schloss Wilhelminenberg beitragen sollen, würden zurückgehalten.
Das ist ein brisantes Faktum, das am Mittwoch im dritten Zwischenbericht der Kommission veröffentlicht wurde.
Seit einem Jahr arbeitet das unabhängige Gremium unter der Leitung der Richterin Barbara Helige, um Licht ins Dunkel zu bringen – im Auftrag der Stadt, die das Heim einst geführt hat. Auslöser waren KURIER-Berichte über angebliche Serienvergewaltigungen und Prostitution im Kinderheim Wilhelminenberg in den 1970er-Jahren.
Ein wichtiger Bereich, um die Strukturen, die damals herrschten und den unmenschlichen Umgang mit Kindern ermöglichten, aufzuzeigen, sind die Personalakten. Nur so kann die Kommission an Erzieherinnen, ärztliches Personal und andere Heim- und Magistratsmitarbeiter herankommen.
Datenschutz
Im Sommer wurde sogar die Datenschutzkommission bemüht, um eine Freigabe der Akten durch das Personalamt (MA2) der Stadt Wien zu ermöglichen. Dennoch gelangen nicht alle Schriftstücke zur Wilhelminenberg-Kommission. Barbara Helige (siehe Interview unten) : „Wir haben nicht alle angeforderten Akten bekommen.“
Laut Rudolf Gerlich, Sprecher der zuständigen Magistratsdirektion, handelt es sich nur um „zwei, drei Akten“, die die Stadt zurückhalte. Gerlich: „Wir sehen bei diesen Akten keinen Zusammenhang mit dem Wilhelminenberg. Das müsste die Kommission begründen.“ Dem widerspricht Helige: „Das kommt nicht infrage.“ Sie könne nicht Zwischenergebnisse der Recherchen an den Auftraggeber – die Stadt Wien – weiterleiten. Schließlich sei es ja die Stadt Wien, die hier untersucht werde.
Weiters heißt es im Zwischenbericht: „Die Kommission muss davon ausgehen, dass die Akten vor Übergabe von Beamten der internen Revision des Magistrats durchgesehen werden und erst dann eine Entscheidung getroffen wird, ob sie ausgefolgt werden.“
Missbrauch Im Zwischenbericht kommen erstmals auch bemerkenswerte Details zu tage, die bisher nur in Medien veröffentlicht wurden. So bestätigt die Kommission, dass es am Kinderheim Wilhelminenberg „über Jahrzehnte zur Ausübung physischer, psychischer und sexueller Gewalt“ gekommen ist. Durch mehr als 140 Interviews konnten auch Täter und Zeugen ausgeforscht werden.
Die Kommission geht noch einen Schritt weiter. Auch die Vorwürfe der Serienvergewaltigungen werden immer plausibler: „Nach dem bisherigen Erkenntnisstand kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Verdacht des vielfachen, organisierten sexuellen Missbrauchs von Heimkindern am Wilhelminenberg zerstreut hätte.“
Schutzlos
Es erhärtet sich auch der Verdacht, dass die Verantwortlichen (Erzieher, Ärzte, Psychiater, Jugendamt) von den Übergriffen gewusst, aber offenbar nichts dagegen unternommen haben. Das Fazit der Forscher um Barbara Helige: „Die Kinder im Heim Wilhelminenberg waren Gewaltakten schutzlos ausgeliefert.“
Bis Mai nächsten Jahres will die Wilhelminenberg-Kommission ihren Endbericht vorlegen. Helige: „Ich bin überzeugt, dass wir bis dahin Zugang zu allen Akten bekommen.“
Als Leiterin der Wilhelminenberg-Kommission soll Barbara Helige die Vorkommnisse im dortigen Kinderheim auf¬klären. Sie spricht über bürokratische Hürden.
KURIER: Seitens der Magistratsdirektion ist man der Meinung, dass Sie die Freigabe von Personalakten in Einzelfällen begründen müssen.
Barbara Helige: Es geht darum, die Strukturen in der Stadt Wien zu untersuchen und da kann es nicht sein, dass ich die Stadt fragen muss, ob ich das darf.
Warum fällt es so schwer, Aktenansuchen zu begründen?
Dazu müsste ich Erkenntnisse vor Abschluss unserer Untersuchung der Stadt Wien bekannt geben. Das kann ich nicht akzeptieren.
Wird versucht zu vertuschen?
Dazu äußere ich mich nicht. Aber ich verstehe die Haltung der Stadt Wien nicht. Alle müssten eigentlich an der Aufklärung interessiert sein. Die Stadt muss alle Akten zur Verfügung stellen. Da bestehen wir drauf. Wir bekommen ja auch von der MA11 (Jugendamt, Anm.) die Akten der Heimkinder. Da ist es kein Problem. Die Personalakten werden hingegen durchgesehen, ehe wir sie bekommen. Das haben wir in den letzten Tagen festgestellt.