Mit Tätowierung gegen Reanimation
Von Ricardo Peyerl
Sollte der Wiener Ernst Frey eines Tages „irgendwo tot herumliegen“, wie er das ausdrückt, dann will er keinesfalls wiederbelebt werden. Herzmassage, Beatmung oder sonstige Maßnahmen hat er sich schon jetzt auf ungewöhnliche Weise verbeten. Man braucht nur sein Hemd aufknöpfen und lesen, was da steht. Auf seine Brust hat sich der 70-Jährige in Blockbuchstaben tätowieren lassen: KEINE REANIMATION.
Nur: Ist das auch verbindlich? Kann Ernst Frey damit verhindern, dass Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden? Darum kämpft der pensionierte Lehrer mit einer eigenen Homepage im Internet (keinereanimation.at).
Ernst Frey unterrichtete an einer Berufsschule Politische Bildung und gibt auch jetzt noch sein Wissen im Netzwerk webschool.at weiter. In Diskussionen mit Schülern kam er dem ethischen Bereich und dem Sterben näher. Wenn es einmal so weit ist, möchte er keine Verlängerung. „Man weiß ja nicht, welche Schäden dann schon eingetreten sind“, sagt der 70-Jährige im Gespräch mit dem KURIER: „Ich möchte nicht dann den Rest des Lebens als sabbernder Idiot verbringen. Und ich will nicht, dass meine Frau gezwungen ist, sich das anzuschauen. Ich habe ein Recht auf meinen eigenen Tod, und ich habe eine Verantwortung gegenüber meiner Frau für ihr eigenes weiteres Leben.“
Neu anfangen
Seine Frau, erzählt Frey, denkt anders darüber, sie respektiere aber seine Entscheidung. „Wir hatten eine sehr schöne Ehe, aber wenn es vorbei ist, ist es vorbei, und sie kann neu anfangen“, sagt der Lehrer.
Warum er keine Patientenverfügung (schriftliche Erklärung nach Aufklärung durch einen Arzt und im Beisein eines Notars, Anwalts oder Patientenvertreters, die fünf Jahre gültig ist) abschließt? „Die wird sich niemand so schnell anschauen. Es wird sofort beim Eintreffen der Rettung mit der Reanimation begonnen. Und das will ich nicht. Der mich findet, weiß ja nicht, wie lange ich schon ohne Sauerstoff bin.“
Das unübersehbare Tattoo auf seiner linken Brust aber habe er immer dabei. Auf die andere Seite hat er sich jetzt auch noch die Handynummer seiner Frau tätowieren lassen, damit im Fall des Falles rasch Klarheit geschaffen werden kann, dass das Tattoo „Keine Reanimation“ sein voller Ernst ist. In der Fachzeitschrift Journal of General Internal Medicine wurde 2012 der Fall eines 59-Jährigen beschrieben, der mit der Tätowierung D.N.R. (Do not resuscitate/nicht wiederbeleben) auf seiner Brust ins Spital eingeliefert wurde. Der Patient war ansprechbar und erklärte, er wolle sehr wohl lebensverlängernde Maßnahmen, das Tattoo sei nur Ergebnis einer verlorenen Wette.
Ernst Frey ist nach allen bisherigen Reaktionen (siehe unten) bewusst, dass das Tattoo auf seiner Brust keine Garantie für das Unterbleiben der Reanimation ist. Für diesen Fall hat er bereits im Vorfeld einen Rechtsanwalt engagiert, der gegen die Retter den Rechtsweg beschreiten soll.
Bleibt noch eine Frage: Gibt es akuten Handlungsbedarf für die Vorsorge? „Mir geht es allerbestens“, zerstreut Ernst Frey alle Zweifel, er könnte krank sein. „Man sollte so eine Verfügung auch nur machen, wenn es einem gut geht und man nicht womöglich von einem Todeswillen beeinflusst ist.“ Einige Ärzte hätten ihm bereits beigepflichtet. Ob die sich im Ernstfall an das Tattoo halten würden, ist freilich offen.
Reaktionen
Ernst Frey hat an mehrere Wiener Rettungsbetreiber die Anfrage gerichtet, ob sie seiner Forderung nachkommen würden. Die Antworten hat er auf seiner Homepage keinereanimation.at veröffentlicht.
Das
Österreichische Rote Kreuz ließ Frey durch das Generalsekretariat mitteilen, dass „seitens des Rettungspersonals reanimiert wird.“ Ausschließlich in einer Patientenverfügung könne er festhalten, „ob und welche medizinische Maßnahmen Sie ablehnen.“ Diese können durch ein Patientenverfügungsregister abgefragt werden.
Der Chefarzt der Wiener Berufsrettung,
Dieter Sebald, schrieb Frey, dass seine Tätowierung „jedenfalls im Sinne einer ’beachtlichen Patientenverfügung’ mitberücksichtigt“ werde, jedoch nicht dazu führe, „Apriori Reanimationsmaßnahmen generell zu unterlassen.“
Etwas zynisch kam die Auskunft des Malteser Hospitaldienstes daher. Der Generalsekretär Manuel Weinberger empfiehlt die klassische Patientenverfügung in Papierform, insbesondere auch deshalb, weil sie alle fünf Jahre bestätigt werden muss. „Ungeachtet eines möglichen Platzproblems am Körper ist es in diesem Zusammenhang dann auch fraglich, ob im Ernstfall den Rettungskräften ein intensives Studium Ihrer Tattoos zumutbar ist – vermutlich nicht“ (aus dem Malteser-Antwortschreiben).