Missbrauch durch Wiener Sportlehrer: Das System hat versagt
Jahrzehntelang soll ein Lehrer an einer Wiener Mittelschule Kinder missbraucht und pornografisches Material angefertigt haben – zum Teil unter Einsatz von K.o.-Tropfen. Im Jahr 2021 nahm sich der Lehrer, der auch als Sporttrainer und Betreuer in einem Feriencamp tätig war, nach einer Missbrauchsanzeige das Leben.
Seit der Fall in die Medien kam, offenbart sich – nach und nach – sein ganzes Ausmaß (siehe Infobox unten). Zuvor sah man lange weg: Anzeigen versandeten. Der Direktor schwieg. Kollegen wollten nichts bemerkt haben, als der Lehrer seine Beliebtheit ausnutzte, um den Schülern nahezukommen.
Systemversagen
Jetzt liegt dem KURIER der vorläufige Endbericht jener Kommission vor, die Wiens Bildungsdirektor Heinrich Himmer 2021 eingerichtet hat. Das Bild, das diese auf 30 Seiten zeichnet, ist kein gutes: Sie geht von mindestens 40 Opfern aus. Es habe ein „Systemversagen auf allen Ebenen gegeben“.
Duschen und Fotos
Laut Bericht kam es vor, „dass Schüler auf dem Schoß des Lehrers saßen und dieser die Schüler streichelte“. Nach dem Sportunterricht soll er mit den Kindern gemeinsam geduscht haben – und sie dabei auch fotografiert haben. Er verteilte Fotobücher mit diesen Fotos an Schüler und Eltern.
Rückzugsraum
Der Pädagoge richtete in einer Schulwartwohnung eine „Chill-out-Area“ für sich und seine Klasse ein. Zu Missbrauch soll es unter anderem auf einem Skikurs und bei einer Lesenacht an der Schule gekommen sein.
Die Kommission verfasste insgesamt sieben Anzeigen an die Staatsanwaltschaft – darunter gegen den früheren und den jetzigen Direktor, die von den Handlungen bzw. Neigungen des Lehrers gewusst haben sollen; beide bestreiten dies. Im Fokus stehen zudem zwei Freunde des Lehrers und mögliche Mittäter, gegen die nie ermittelt wurde.
Auch an Volksschule
Und: Wie erst jetzt durch die Kommission bekannt wurde, soll der Mittelschullehrer zudem an einer nahen Volksschule tätig gewesen sein – allerdings nicht alleine, sondern im Team mit dem zuständigen Klassenlehrer.
Bildungsdirektor Himmer spricht von „schonungsloser Aufarbeitung“ auch innerhalb der eigenen Institution, der man sich mit der Einrichtung der Kommission verschrieben habe: „Es sind Fehler passiert.“ Leider könne man auch heute noch kein abschließendes Bild von den Vorkommnissen zeichnen. „Wir wissen nicht, was noch kommt. Es gab keine gesetzliche Pflicht, vor der Kommission auszusagen.“ Die Mitarbeit der Befragten erfolgte freiwillig.
Die sieben Sachverhaltsdarstellungen, die man an die Staatsanwaltschaft übermittelt habe, hätten in keinem Fall zu Ermittlungen geführt, so Himmer. „Es war laut Behörden kein Anfangsverdacht gegeben.“ Generell gestalte sich die Zusammenarbeit mit anderen Behörden schwierig, lässt Himmer durchblicken.
So habe nicht nur im Fall des Lehrers die Meldekette versagt. Bis heute seien weder der Bildungsdirektion noch der Kommission die Namen der Opfer bekannt, es bestehe aufgrund des Datenschutzes kein Recht auf Akteneinsicht. Ein Fragenkatalog, den man an die StA Wien geschickt habe, seien nur „minimalst beantwortet“ worden.
Sieben Empfehlungen
Die Kommission stellt sieben Empfehlungen auf. Darunter jene nach einem eigenen Kinderschutzkonzept für jede Schule. Der Bund schreibt diese nicht vor. Wiener Schulen müssen derartige Konzepte – inklusive Risikoanalyse und Verhaltensrichtlinien – aber bis Ende des Schuljahres verpflichtend erarbeiten, vorlegen und jährlich erneuern, das hat Himmer verfügt.
In einer Sportmittelschule müsse etwa auch genau geklärt werden, wann körperliche Nähe zulässig sei, etwa bei der Sicherung bei Übungen durch die Lehrkraft. In der Bildungsdirektion wird zudem eine „Kompetenzstelle Kinderschutz“ eingerichtet.
Weitere wichtige Änderung: Mit dem Landeskriminalamt wurde die Meldekette bei potenziellen Straftaten von Lehrern neu aufgesetzt. Hierbei soll sichergestellt werden, dass Ermittlungen nicht gefährdet werden – zugleich soll der Dienstgeber schnellstmöglich informiert werden. Im Verdachtsfall sollen Lehrer sofort vom Unterricht abgezogen werden, so Himmer. Dass das damals nicht passierte, sei „nicht nachvollziehbar“.
Auch werden Richtlinien für mehrtägige Schulveranstaltungen und für den Umgang mit externen Begleitpersonen erarbeitet. Externe Personen – etwa von Sportvereinen – sollen einen entsprechenden Leumund vorweisen müssen. Begleitpersonen bei mehrtägigen Schulveranstaltungen sollen eine Strafregisterbescheinigung vorweisen müssen.
Die Richtlinien bezüglich Fotos von Kindern und Jugendlichen sollen überarbeitet werden. Auch für eine Verschärfung des Disziplinarrechts – die dreijährige Verjährungsfrist bei Dienstpflichtverletzungen pragmatisierter Lehrer solle fallen – spricht sich die Kommission aus. So solle künftig ein „mutmaßliches Wegsehen“ geahndet werden können.