Landstraße: Wo Wiens gute, alte Mittelschicht zu Hause ist
„Gönn dir“ steht auf der Tafel links vom Eingang. Melange und Obstschnitte in Kombination kosten 6,40 Euro. Auch rechts von der Tür wird ein
Menü angekündigt: Prosecco und Brötchen – um 6,90 Euro.
Dabei geht es im Café W.I.F. direkt neben der Rochuskirche auf der Landstraßer Hauptstraße um elf Uhr vormittags um anderes. Konkret um Weißen Spritzer und Wieselburger in Flaschen.
Das W.I.F. ist ein klassisches Espresso, ein Tschocherl, wie es wienerischer nicht sein könnte.
Der Kaffee kommt von Helmut Sacher, das Achtel Rot im kleinen runden Glas und der Weiße Spritzer sind billig und trinkbar – deswegen kommen auch die Jungen und Hippen (die gibt es, wenn auch nicht allzu viele) des 3. Bezirks ins W.I.F..
Allerdings erst am Abend – oder am Nachmittag.
Zumindest im Stadtbild hat sich gar nicht so sehr geändert
Lebende Legenden
Das W.I.F. ist eine Legende im Bezirk. Direkt neben
der Rochuskirche gelegen, wurde es 1949 eröffnet – damals war es das Café zum „Welt im Film Kino“ (daher auch die Abkürzung); ein Kino, in dem vor dem Film noch eine Wochenschau gezeigt wurde. Zu internationalen Nachrichten wären die Wienerinnen und Wiener sonst nicht gekommen.
Seit 20 Jahren betreibt das W.I.F. nun Bruno Jakes. Mit Espressos und Tschocherln kennt er sich aus: Jakes hat in vielen Bezirken welche betrieben – und ganz früher auch einen Branntweiner im 16. Bezirk.
Um 5 Uhr Früh hat er den täglich aufgesperrt – und ab da ist auch getrunken worden. „Die Bevölkerung, die diese Art von Lokalen besucht hat, ist in Österreich ausgestorben“, sagt Jakes.
Das W.I.F. macht sein Geschäft mit Spritzern und Seitln. Und wenn in Lokalen noch geraucht dürfte, im W.I.F. würde man sich im Zigarettenrauch verstecken können.
Was Jakes nach 20 Jahren in 1030 noch immer schätzt? „Es ist halt noch ein echter Wiener Bezirk“, sagt er. Mittelständisch, viele Österreicher, wenig Ausländer.
Das zeige sich auch am Rochusmarkt, gegenüber. Der habe sich in den vergangenen Jahren besonders gut entwickelt. Früher, sagt Jakes, sei er ja eher „wie der Hannovermarkt“ gewesen.
Roland Schätzl sieht das ein bisschen anders. Seit 38 Jahren verkauft er auf dem Rochusmarkt Obst und Gemüse, seit zehn (oder 15 Jahren) ist er dort Marktsprecher.
Und Schätzl sagt: Der Markt sei immer schon gut gewesen, aber zuletzt natürlich besonders.
Selbst in Corona-Zeiten haben die Landstraßer nicht auf ihren Markt vergessen, nicht einmal der neue Merkur im Postgebäude habe ihm etwas anhaben können, sagt Schätzl.
Und das kommt doch überraschend. Denn als die Post 2016 bekannt gab, das alte Gebäude (bis auf den denkmalgeschützten Teil) abreißen und inklusive Einkaufszentrum neu errichten zu lassen, war die Stimmung bei den Standlern nicht so rosig.
Im Gegenteil. Der Markt, der eingepfercht ist zwischen Einkaufszentren und Supermärkten, fürchtete – wieder einmal – um seine Kunden: 650 Meter vom Rochusmarkt stadtauswärts ist die Galleria (ein kleines, fast liebes Einkaufszentrum) 550 Meter stadteinwärts Wien Mitte – The Mall.
Dem Rochusmarkt konnte aber weder die Eröffnung von Wien-Mitte 2012 etwas anhaben noch die des Einkaufszentrums im Postgebäude 2017. „Der Rochusmarkt hat einen guten Ruf“, sagt Schätzl.
Der Bezirk
Gürtel, Autobahn, Donaukanal, Ring: Der Dritte hat quasi alles. Und das zeigt er auch: Das Fasanviertel ist vergleichbar günstig, das Weißgerberviertel hip, im Botschaftsviertel leben die Bürgerlichen
Die Persönlichkeiten
Die Liste an Promis, die hier gelebt haben, ist lang: Ludwig van Beethoven, Erwin Schrödinger, Ingeborg Bachmann. Berühmtester Bewohner aktuell: Bundespräsident Alexander Van der Bellen
Die Lokale
Bekannt ist das Rochus auf der Landstraße, beliebt das Menta am Radetzkyplatz
Das stimmt – aber die Qualität hat dort ihren Preis. Schätzl streitet das auch gar nicht ab. Immerhin würden die Menschen, die rundherum wohnen, auch „gutes Geld“ verdienen, sagt Schätzl. „Und der Meinl am Graben richtet sich ja auch nach seinen Kunden.“