Keiner wollte Helmut Richters Glasschule: Teilabriss denkbar
Von Bernhard Ichner
„Ein Grenzgänger zwischen Genie und Wahnsinn“ sei Architekt Helmut Richter gewesen, heißt es im Wiener Rathaus. „Extrem innovativ, experimentierfreudig und kompromisslos.“ Nachsatz: „Experimente können halt auch scheitern.“
Mit einem international beachteten Projekt hat der 2014 verstorbene Hochschullehrer der Stadt ein besonders schwieriges Erbe hinterlassen: Mit der legendären Glasschule am Penzinger Kinkplatz.
Um den architektonisch aufsehenerregenden, aber seit Jahren leer stehenden Stahlskelettbau doch noch zu verwerten, soll nun ein Expertenkonsortium Nutzungsoptionen ausloten. Das könnte auch auf einen Teilabriss der teuersten Schule Wiens hinauslaufen.
Sprechen verboten
Die Geschichte ist bekannt: Helmut Richter wollte eine Schule bauen, „bei der sich nicht gleich das Unangenehme, das bei Schulen immer so auffällt, bemerkbar macht“. 1994 wurde am Kinkplatz deshalb um 24 Millionen Euro eine Glaskonstruktion errichtet, deren Dächer über Aula und Turnsaal an die Flügel einer Libelle erinnern.
Und Richter sollte Recht behalten: Das Unangenehme machte sich nicht gleich bemerkbar. Sondern erst im Laufe des Schulbetriebs.
Für Schüler und Lehrer der Neuen Mittelschule (NMS) wurde der Ort regelrecht zur Zumutung: Insbesondere in den warmen Monaten herrschten im Turnsaal unter dem nach Süden geneigten Glasdach Temperaturen bis zu 50 Grad. Dafür musste bei Regen ein Kübel mitten aufs Spielfeld gestellt werden, weil Wasser eindrang. Das ließ auch das immens schlanke Tragwerk rosten. Dazu kamen akustische Probleme – weshalb auf den Gängen Schilder hingen, auf denen „Sprechen verboten“ stand.
Da der Rost die Substanz beschädigte und die Bedingungen unzumutbar geworden waren, zog die Stadt 2017 die Notbremse und siedelte die Schule wegen „Gefahr im Verzug“ ab. 21 Klassen zogen in eine Containerkonstruktion in die Torricelligasse, was weitere 14 Millionen Euro erforderte.
Und als Gutachter nach einer umfassenden Schadenserhebung die Kosten für eine Generalsanierung auf rund 50 Millionen Euro schätzten, setzte Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) 2019 überhaupt den Schlusspunkt: Die Tage des Glaspalastes als Schule waren endgültig gezählt.
Worauf sich die MA 56 (Wiener Schulen) stadtintern auf die Suche nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten machte – aber keine fand. Denn keine einzige Dienststelle wollte ein Gebäude nutzen, in das es hineinregnet und das im Sommer zur Hitzefalle wird.
Nachdenken erlaubt
Darum wird nun eine externe Nachnutzung angestrebt. „Dafür stellt die Wiener Standortentwicklung ein Konsortium aus Architekten, Experten von der TU und einem Vertreter des Bundesdenkmalamtes zusammen, das nach Nutzungsmöglichkeiten sucht“, erklärt Werner Schuster von der Magistratsdirektion. „Und zwar völlig ergebnisoffen.“
Es dürfe „wirklich alles“ angedacht werden: Ob Interessenten den Turnsaal beschatten und als große Ausstellungsfläche verwenden, das Gebäude „nur“ um 30 statt um 50 Millionen Euro sanieren und so (mutmaßlich nicht ganz im Sinne Richters) wieder nutzbar machen oder am Standort Wohnungen errichten, lasse sich zurzeit nicht vorhersagen. Fakt ist aber: Auch ein Teilabriss sei eine Option. So es dazu käme, könnten nur die architektonisch bedeutenden Gebäudeteile erhalten bleiben.
Bis Jahresende hofft man in der Magistratsdirektion auf ein Ergebnis des Nachdenkprozesses. Wichtig sei bloß, dass eine wirtschaftliche Lösung herauskomme, sagt Schuster.
Was den dringend benötigten Schulstandort betrifft, zeichnen sich mittlerweile übrigens Alternativen ab. Zum einen errichtete der Bund in der Penzinger Steinbruchstraße die AHS Wien-West. Und zum anderen entsteht in der Deutschordenstraße bis 2023 ein Bildungscampus samt NMS. Die Baubewilligung liege bereits vor, so Schuster.